Der Novembermörder
weißen Smoking. Mit erhobenem Champagnerglas lachte er sein entwaffnendes Lachen direkt in die Kamera. Immer noch war das gleiche Funkeln in seinen Augen. Vitalität, Lebensfreude, Sinnlichkeit, das waren die Worte, die Irene durch den Kopf gingen. Nicht die nahe liegenden: Geld, Macht, Einfluss. Merkwürdig eigentlich. Ein hastiger Blick auf die Uhr sagte ihr, dass ihr nur noch eine Viertelstunde bis zu ihrer Verabredung mit Sylvia blieb. Am besten versuchte sie einigermaßen pünktlich zu sein. Sie schob den Faxstapel in die unterste Schreibtischschublade und stopfte sich einen Notizblock in die Jackentasche.
Sylvia war immer noch über die Unordnung in der Wohnung empört. Sie beschwerte sich bei Irene als Repräsentantin der Polizei im Allgemeinen und offenbar der Techniker im Besonderen. Irene ließ sie schimpfen und folgte ihr stumm in den wunderschönen Saal. Die Gardinen waren auch heute aufgezogen und ließen das graue Tageslicht herein. Irene trat zu einer der hohen Glastüren und schaute hinaus. Um den ganzen Wohnraum herum lief ein schmaler Balkon, höchstens zwei Meter breit. Die Balustrade bestand aus rosafarbenen, vasenförmigen Marmorsäulen mit einem Handlauf aus schwarzem Marmor. Das Geländer sah nicht besonders stabil aus. Und den Glastüren fehlten von außen Türgriffe. Damit konnte Irene ihre Idee von einem an der Fassade entlangkletternden Mörder abschreiben. Es war unmöglich, von draußen durch die Balkontüren hereinzukommen. Und man hätte ihn gesehen, es war ja erst kurz nach fünf gewesen. Nein, das war keine gute Theorie. Ihre Gedanken wurden von Sylvias klagender Stimme unterbrochen.
»Pirjo antwortet auch nicht, nur eines ihrer geistesschwachen Kinder. Ich habe sogar Finnisch mit ihm geredet, aber trotzdem konnte er mir nicht sagen, wo Pirjo ist! Er behauptet, er hätte die Grippe, und ein finnischer Polizist würde heute Nachmittag kommen, um mit ihnen zu reden.«
»Das stimmt. Einer unserer Inspektoren kann Finnisch sprechen. Er soll Kontakt zu Pirjo aufnehmen«, sagte Irene.
»Wozu soll das denn gut sein?«
»Sie und ihre Tochter können am Montag etwas gesehen oder gehört haben, als sie hier sauber gemacht haben. Bringt sie immer ihre Tochter mit?«
»Nein, nur wenn wir ein größeres Fest hatten. Und wenn das Mädchen Zeit hat«, antwortete Sylvia kurz.
Irene schaute sich in dem riesigen Saal um. Jetzt erkannte sie, dass die Pfeiler, die den Boden des oberen Stockwerks trugen, gar nicht aus massivem Marmor waren, wie sie zwei Abende vorher geglaubt hatte. Es waren außerordentlich geschickt marmorierte Holzpfeiler. Sicher wäre echter Marmor zu schwer gewesen. An den Wänden entlang standen antike Sitzgruppen und schöne Schränke. Und was für Bilder! Irene fühlte sich wie bei einer Privatführung in einem Kunstmuseum. An der Wand mit den Balkontüren glänzte ein dunkler Esstisch aus Mahagoni, der längste, den sie je gesehen hatte. Durch ihn bekam sie eine Idee, wie sie das Gespräch mit Sylvia einleiten konnte.
»So ein schöner Tisch. Und so lang! Haben Sie Samstagabend dort gegessen?«
»Ja, natürlich«, erwiderte Sylvia gemessen.
»Wie viele waren Sie?«
»Zwanzig Leute. Wir wollten es nicht zu groß werden lassen, nur die engsten Freunde. Alle waren bei der Hochzeit dabei gewesen. Außer Henrik und Charlotte natürlich.«
Das könnte man auch anders sehen, was Henrik betraf, dachte Irene. Sylvia fuhr fort: »Richards Schwester und ihr Mann konnten nicht kommen. Sie leben in Florida. Er muss an der Prostata operiert werden oder so. Er ist fünfundsiebzig.«
»Und wie alt ist sie?«
»Siebenundsechzig.«
»Könnten Sie so freundlich sein und mir sagen, wer alles auf dem Fest war?«
»Natürlich. Außer Richard und mir waren da noch Henrik und Charlotte, Sven und Ann-Marie Tosse, Peder und Ulla Wahl. Ja, die wollten sowieso nach Schweden kommen, um ihr Enkelkind Nummer vier zu sehen. Sie waren schon die ganze Woche vor dem Fest hier. Ihre älteste Tochter Ingrid und deren Mann waren auch da. Ingrid war nämlich Blumenmädchen bei unserer Hochzeit. Damals war sie fünf Jahre alt und einfach zu reizend. Aber nicht sie hat jetzt das Kind gekriegt, sondern die mittlere Tochter Kerstin. Sie war erst zwei, als wir heirateten, deshalb war sie nicht bei der Hochzeit dabei. Darum habe ich sie nicht eingeladen. Und die jüngste Tochter auch nicht. Sie ist genauso alt wie Henrik.«
Sie brach ab und schaute sich verwirrt um. Irene war klar, dass sie den Faden
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