Der Novembermörder
vertraut zu sein schienen, konnten sie eigentlich kaum etwas mit den Geschehnissen der letzten Tage zu tun haben. Aber es war sicherlich nützlich, sich alles, was heute hier bei Sylvia gesagt und gemacht worden war, einzuprägen. Wenn man erst einmal anfing, in den alten Sachen zu rühren, kam eine ziemliche Wolke an Sumpfgas hervor. Erst mal war es nur gut, einfach weiterzumachen. Irgendwann würde bestimmt etwas Nützliches dabei herauskommen. Sie ging zu ihrer nächsten Frage über: »Ich habe nur noch ein paar Kleinigkeiten zu klären, bevor ich gehe. Da wäre einmal die Frage, ob Pirjo einen Schlüssel zur Wohnung hat.«
Sylvia schüttelte den Kopf und antwortete: »Nein. Ich oder Richard haben sie reingelassen.«
»Wie viele Schlüssel gibt es?«
»Drei Sätze.«
»Also drei Schlüsselbunde?«
»Ja. Neben den Türschlüsseln gibt es noch die Schlüssel zu dem Schließbalken. Die Versicherung besteht darauf. Die haben auch gesagt, dass keine Griffe an den Außenseiten der Balkontüren sein dürfen.«
»Wissen Sie, wo die drei Schlüsselbunde jetzt sind?«
»Ja, natürlich. Meinen Schlüsselbund habe ich selbst in der Handtasche. Die Ersatzschlüssel liegen in meiner Schreibtischschublade. Ich habe sie heute Morgen noch gesehen. Richards Schlüssel liegen sicher noch dort, wo ich sie gestern gesehen habe, auf seinem Nachttisch.«
Sie zeigte auf die andere Seite des Betts. Dort lag ein kleinerer Schlüsselbund, offenbar Auto- und Garagenschlüssel. Daneben lag ein schwarzes Lederetui. Irene knöpfte es auf und zählte sechs Schlüssel. Kurz hatte sie das Bild von sechs glänzenden Lachsen in einer Lachskiste vor sich.
»Wie viele von diesen Schlüsseln gehören zu der Wohnung?«, fragte Irene.
»Zwei. Einer fürs ASSA-Schloss und einer für den Balken.«
»Wofür sind die anderen Schlüssel?«
»Zwei sind fürs Haus auf Kärringnäset, unser Haus in Marstrand. Die anderen beiden müssen für Richards Büro sein.«
»Gibt es noch Ersatzschlüssel fürs Büro?«
»Ja. Die sind an dem Extraschlüsselbund, der in meiner Schreibtischschublade liegt.«
»Und es gibt keine anderen Schlüsselbunde?«
Sylvia schüttelte den Kopf.
»Nein. Aber wo wir gerade von Schlüsseln reden, ich erinnere mich, dass Richard nach seinen Reserveschlüsseln für den Wagen und die Garage gesucht hat. Solche wie die, die da auf seinem Nachtschrank liegen«, sagte sie.
»Wann war das?«
»Das muss mindestens eine Woche her sein.«
»Hat er sie gefunden?«
»Nicht dass ich wüsste.«
Irene machte sich Notizen. Um sicherzugehen, fragte sie noch einmal nach: »Der Schlüsselbund mit den Wagenschlüsseln hier auf dem Tisch ist also sein Bund? Und nicht der mit den Reserveschlüsseln?«
»Genau.«
Irene schrieb noch mehr auf den Block. Offenbar fehlten die Reserveschlüssel fürs Auto und die Garage immer noch. Sie stellte schnell die nächste Frage: »Wer hat Richards Büro sauber gemacht?«
»Das hat Pirjo ab und zu getan. Sie hat mit Richard eine Zeit verabredet, und dann hat er ihr dort aufgeschlossen. Meistens dienstags und donnerstags. Dann kommt sie nicht hierher zum Saubermachen. Sie hat ein paar sporadische Putzjobs, soweit ich weiß.«
Ein Gedanke kam Irene. Vielleicht weit hergeholt, aber man durfte keine Möglichkeit außer Acht lassen.
»Wie sieht Pirjo aus?«
»Ziemlich dick, klein. Sie ist nicht viel älter als dreißig, sieht aber aus, als wäre sie über vierzig. Dünne, blonde Haare, meistens in einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie sieht zwar schlampig aus, ist aber die beste Putzfrau, die ich je gehabt habe. Das sagt Alice, meine Freundin, die sie mir empfohlen hat, auch. Aber sie raucht. Wenn sie damit aufhören würde, hätte sie auch mehr Geld. Denn es ist nicht so, dass ich ihr zu wenig bezahle – sie raucht das alles auf!«
Irene hatte den Verdacht, dass erst vor kurzer Zeit Lohnverhandlungen zwischen Sylvia und Pirjo stattgefunden hatten. Eine schwarz angestellte Putzfrau konnte nicht viel Druck machen, noch dazu, wenn sie wie in diesem Fall ihre Forderungen nur auf Finnisch vertreten konnte. Mit einem Seufzer musste Irene ihren Blitzeinfall wieder fallen lassen. Es spielte sich wohl kaum etwas zwischen Richard und Pirjo ab. So viel wusste sie immerhin über seine Vorlieben, dass eine heruntergekommene, verfettete Putzfrau kaum ein Sexobjekt für ihn darstellte. Vielleicht sah er sie tatsächlich nur als Arbeitskraft?
»Meine nächste Frage geht an Sie, Henrik. Wo kann ich Charlotte
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