Der Novembermörder
auf seinem Stuhl weiter vor und beugte sich über den Schreibtisch.
»An dem bewussten Tag? Weiter!«
»Auf der Spitze seines Penis’, direkt auf der Eichel, habe ich eine flache Schnittwunde entdeckt, vier Millimeter lang. So etwas habe ich schon mal gesehen. Sie entsteht beim Geschlechtsverkehr, wenn dem Mann ein Haar dazwischen gerät. Das Interessante ist aber, dass diese Wunde maximal vierundzwanzig Stunden alt sein kann. Natürlich kann ein Mann auch ohne Sex ein Haar unter die Vorhaut kriegen, aber dann entstehen selten Wunden. Er spürt das Haar vorher. Aber bei großer Erregung ist das bekanntermaßen anders.«
Andersson nickte und meinte nachdenklich: »Am Montag oder Dienstag machte er also einen drauf im Ehebett. Aber nicht mit seiner Frau, denn Sylvia befand sich zu der Zeit in Stockholm. Mit jemand anderem. Wer kann das gewesen sein?«
»Jetzt sind wir wieder bei Ihrem Job. Nicht bei meinem«, erwiderte Yvonne Stridner.
Sie lächelte ein wenig und schien zufrieden mit dem Effekt, den ihr Hinweis auf Andersson hatte. Wahrscheinlich zeigte sein rotfleckiges Gesicht, dass sein Blutdruck wieder einmal eine Spur zu hoch stieg.
»Nehmen Sie eigentlich etwas gegen Ihre Hypertonie?«, fragte sie.
»Meine Hyper … Was zum Teufel hat das mit von Knecht und Pirjo Larsson zu tun!«
Zu spät merkte er, dass er die Pathologieprofessorin Yvonne Stridner anschrie! Das war nicht gut. Mit ruhiger, absolut kalter Stimme erwiderte sie: »Nichts. Außer dass Sie eine Hirnblutung bekommen können und dann niemals den Mord an Richard aufklären werden oder was der Finnin passiert ist. Hieß sie Pirjo?«
»Ja. Pirjo Larsson. Verzeihen Sie, dass ich geschrien habe. Es ist im Augenblick alles zu viel.«
»Ein Grund mehr, den Blutdruck zu überprüfen und Medikamente zu nehmen. Aber jetzt muss ich wieder an die Arbeit.«
Demonstrativ schaltete sie ihren Computer ein und begann auf die Tasten zu schlagen, ohne ihn noch weiter anzusehen. Ausgezählt! Immer kam er sich in Stridners Gegenwart dumm und ausgeknockt vor. Alles lief nur nach ihrer Nase. Ihm ging es wie einem ihrer armen Prüflinge. Er hatte vollstes Mitleid und ungeteilte Sympathie mit ihnen.
»Vielen Dank. Und bis bald«, sagte er tonlos.
Ohne vom Bildschirm aufzusehen, murmelte sie nur ein kurzes »Tschüss«.
Ganz konzentriert auf eine wichtige Arbeit. Er spürte, wie die Wut in ihm aufstieg, als er zum Ausgang ging. Es pochte in seinen Schläfen und ihm fiel voller Schuldbewusstsein ein, dass er am Morgen vergessen hatte, seine Blutdrucktabletten zu nehmen. Vielleicht sollte er auch lieber mal wieder zum Betriebsarzt gehen und die Werte überprüfen lassen? Das letzte Mal war schon eine Weile her. Ach, so ein Quatsch! Wer hatte denn Zeit für sowas? Diese alberne Frau Professorin!
Was wusste sie denn schon von Blutdruck? Zu ihr kamen die Patienten doch erst, wenn es schon zu spät ist. Da interessiert der Blutdruck nicht mehr! Gestärkt durch seine lautlose Schimpfkanonade setzte er sich ins Auto und fuhr zurück zum Polizeipräsidium. Es war Mittagszeit, aber er hatte absolut keinen Hunger. Der Geruch von gebratenem Fleisch stach ihn immer noch in den Nasenflügeln.
Birgitta Moberg war an ihrem Platz. Sie war überrascht, als sie hörte, dass Andersson sie gesucht hatte. Aber das war nicht der Grund, dass sie im Polizeipräsidium war, sie wollte noch zu Mittag essen, bevor sie Bobo Torsson aufsuchte. Ob Andersson mit in die Kantine gehen wollte? Nein, das wollte er nicht.
Er bedeutete ihr, stattdessen in sein Büro zu kommen. Ohne ihn ein einziges Mal zu unterbrechen, folgte sie aufmerksam seinem Bericht darüber, was er bei der Pathologin erfahren hatte. Wobei er die Diskussion über seinen Blutdruck natürlich aussparte. Die ging allein ihn etwas an. Ihre braunen und normalerweise so fröhlichen Augen sahen besorgt aus.
»Das klingt ja tatsächlich, als ob es Pirjo wäre. Die armen Kinder, so ganz allein«, sagte sie.
»Und ihr Stiefvater? Larsson?«
»Hannu hat ihn heute Morgen per Telefon erreicht. Göte Larsson, siebenundvierzig Jahre alt. Er ist in Malmö gemeldet. Offenbar lebt er mit einer Polin in Rosengård zusammen. Er arbeitet im Augenblick für eine polnische Spedition. Er behauptet, er hätte seit zwei Jahren keinen Fuß mehr auf Göteborgs Straßen gesetzt.«
»Hmm. Dann muss das Sozialamt wohl die Verwandten der Kinder in Finnland suchen. Nun gut, jetzt geh du erst mal was essen, ich warte hier auf Hannu. Um ein Uhr habe
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