Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Blut auf uns übergehen, wenn wir verwandelt werden.«
»Ja. Du hast gesagt, dass du das nicht glaubst.«
»Stimmt. Aber … ich habe mich nur gefragt, ob … Nehmen wir mal an, rein theoretisch, dass das wahr sei. Erinnerst du dich an die Geschichte, die die Äbtissin dir erzählt hat? Über die Ama und die Buddha-Kugel und wie ihr Sohn ihr nach ihrem Tod alle Ehre erwiesen hat?«
»Ja.«
»In der Geschichte ist sie beinahe selbst eine Göttin geworden. Sie hat einen höheren Zustand der Gnade, der Erleuchtung erlangt. Das hat ihr die Macht verliehen, die Blutlinie des Prinzen zu verfluchen und zu bestimmen, dass ihr Nachkomme einmal das Land regieren würde. Na ja, das bringt mich auf den Gedanken … wenn du dieser Nachkomme bist … dann könnte dich vielleicht der Segen dieser Ama, einer Frau, die nicht zum toten Geist eines Menschen, sondern zu einer Bodhisattva wurde, vor dem Licht schützen. Sonnenlicht ist immerhin das Geschenk der Kami Amaterasu, der Sonnengöttin. Eine Bodhisattva könnte sie um eine Gunst bitten, sie dazu bewegen, ihren fernen Nachfahren nicht zu verbrennen.«
Tarō starrte ihn ungläubig an. All dieses Gerede von Kami und Bodhisattva, als gäbe es sie wirklich. Er wusste, dass die Bauern Inari opferten und sie um reiche Ernte baten und dass die Fischer Susanoo, den Gott der Stürme, verehrten – oder vielmehr fürchteten. Doch gewiss existierten diese Gottheiten in irgendeiner anderen Welt, weit weg von dieser Wirklichkeit.
Oder?
»Wie gesagt«, fuhr Shūsaku fort, »glaube ich keineswegs fest daran, dass es die Kami gibt. Ich denke, dass wir vielleicht nur eine etwas andere Art sind, so wie Wölfe und Hunde. Weniger glamourös wäre die Erklärung, dass der Vampirismus möglicherweise nichts weiter ist als eine Krankheit. Diese Sache mit der Ama … das ist nur so ein Gedanke.«
Tarō zuckte mit den Schultern. Wie auch immer, es war offenbar unwahrscheinlich, dass irgendjemand seine Widerstandsfähigkeit gegenüber der Sonne erklären konnte. Also sollte er besser einfach dankbar dafür sein. Aber er wollte noch etwas von Shūsaku, etwas, das er brauchen würde, um seinen Plan für den Kampf gegen den Kleinen Kawabata morgen auszuführen.
»Als du zum Vampir gemacht wurdest …«, begann er und achtete genau auf Shūsakus Körpersprache. Er hatte den Ninja noch nie nach dessen Vergangenheit gefragt und fürchtete, er könnte ihm zu nahe treten. »Heikō hat gesagt, dass du … schwer verwundet warst.«
Shūsaku versteifte sich ein wenig, doch er nickte langsam. »Ein Speer in den Nacken. Das war während des Krieges gegen den Fürsten Imagawa, als die Daimyō Oda und Tokugawa sich zusammenschlossen, um den Feind des alten Shōgun zu schlagen.«
»Und du lagst im Sterben?«
»Genau genommen«, sagte Shūsaku, »glaube ich, dass ich vielleicht schon tot war. Da war ein Mädchen … Scheinbar war sie eine Dienerin des Fürsten Tokugawa. Sie und ich … standen uns nahe. Doch an jenem Abend, als mein Blut auf den Boden des Schlachtfelds sickerte, biss sie mich, schnitt sich dann in die eigene Handfläche und ließ ihr Blut in meinen Mund rinnen. Als ich zu mir kam, erfuhr ich, dass sie ein Vampir war – eine Ninja –, ausgesandt von den Leuten auf ebendiesem Berg hier, um den Fürsten Tokugawa zu schützen. Sie hat mir das Leben gerettet.«
»So wie du mir, als das Schwert meinen Bauch durchbohrt hat.«
»Ja, ganz ähnlich.«
»Das Vampirblut hat also eine heilende Wirkung?«
Shūsaku neigte den Kopf zur Seite, als überlegte er. »In gewisser Weise ja. Aber zu dem Preis, dass man den … Patienten … zum Vampir macht.«
»Natürlich. Aber das ist besser, als tot zu sein.«
Shūsaku lachte. »Ich fürchte, da würde dir nicht jeder zustimmen. Aber ich meine ja, auf jeden Fall.«
Tarō betrachtete die Reliefs und Bilder an den Höhlenwänden, die Engel und Dämonen und goldgewandeten Buddhas, und er dachte über das nach, was er am nächsten Tag würde tun müssen. Doch jetzt, da Shūsaku ihm endlich etwas über sein Leben erzählte, wollte er mehr wissen. »Heikō hat gesagt, dass sie … das Ninja-Mädchen, meine ich. Heikō hat gesagt, dass sie –«
»Sie ist gestorben, ja. Jemand im Lager kam dahinter, was sie war. Ich habe sie eines frühen Morgens in der Nähe der Brunnen gefunden, mit abgeschlagenem Kopf.« Shūsaku sprang von dem Pferd und ging auf und ab.
»Du hast sie geliebt.« Das war keine Frage.
»Ja. Ich liebe sie noch.«
Der
Weitere Kostenlose Bücher