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Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
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wenn es seinen selbstsüchtigen, verzerrten Interessen diente.
    Tarō hoffte, dass er nicht im Begriff war, einen gewaltigen Fehler zu begehen.
    Shūsaku kam bald und holte Tarō und den Kleinen Kawabata ab. Er führte sie den Felsengang entlang in den Krater. Die anderen Kinder liefen ihnen nach.
    Tarō stockte der Atem. Große Feuer brannten in allen vier Himmelsrichtungen des Kreises und verbreiteten strahlendes, warmes Licht. An der kreisrunden Wand des großen Kraters waren Bänke aufgestellt, und auf diesen Bänken saßen Hunderte Menschen. Einige aßen, andere lachten und scherzten miteinander, doch alle verstummten, als die fünf Kinder das Rund betraten. In der Mitte des Kreises stand Kawabata, der seinen Sohn verächtlich musterte und dann auf einen hölzernen Ständer wies. Darauf lagen zwei Schwerter bereit, deren Klingen im Feuerschein schimmerten. Dies waren lange Katana, nicht die Kurzschwerter, welche die Ninja meist benutzten.
    Tarō und der Kleine Kawabata folgten Shūsaku in die Mitte des Kraters, während die anderen zu den Bänken abbogen. Der Ninja drehte sich zu Tarō um und bildete die Mudrā, mit der man Angst zerstreute  – die rechte Hand ausgestreckt, die Handfläche nach vorn. Zuneigung zu diesem komplizierten Mann  – Mörder, Lehrer, Freund  – wallte in Tarō auf, und er verneigte sich mit zusammengelegten Handflächen im Gasshō, der Mudrā des Respekts.
    Shūsaku lächelte.
    Der Kleine Kawabata war sehr blass. Er wandte sich an seinen Vater. »Du wirst mich doch nicht wirklich dazu zwingen, oder?«, fragte er. Seine Augen glänzten feucht. »Ich bin dein Sohn .«
    Kawabata wandte sich ab. »Du hast unser ältestes Gesetz gebrochen«, sagte er. »Ich würde dich selbst hinrichten, wenn diese Pflicht an mich fiele.«
    Der Kleine Kawabata starrte seinen Vater voller Entsetzen an. Dann merkte er, dass Tarō ihn anschaute, wischte sich mit dem Ärmel die Augen und drehte sich um.
    Tarō schloss kurz die Augen, konzentrierte sich darauf, seine Gedanken von Wünschen und Gefühlen zu reinigen, das Mitleid aus seinem Geist zu waschen, das er für den Kleinen Kawabata empfand  – den Jungen, der nie gut genug sein würde, um seinen Vater zu beeindrucken, und der deshalb immer zornig sein, es immer darauf anlegen würde, jene zu demütigen, die stärker und glücklicher waren als er.
    Tarō spürte, wie Mitgefühl für den dicken Jungen schmerzhaft in seiner Brust erblühte, und er presste es fest in sich zusammen und schob es weg, damit seine innere Leinwand so leer wie möglich wurde. Nur mit vollkommen klarem Geist würde es ihm gelingen, seinen Plan auszuführen.
    Sie erreichten das Gestell, auf dem die Schwerter lagen. »Die Auswahl der Schwerter muss gerecht sein«, sagte Kawabata, »damit es keine Beanstandungen geben kann. Ihr werdet jeder eines dieser beiden Essstäbchen wählen.« Er streckte den beiden Kämpfern zwei hölzerne Stäbchen entgegen. »Sie sind nummeriert, und jede Zahl hat ein Gegenstück an den Schwertern. Welches Stäbchen ihr wählt, entscheidet darüber, welches Schwert ihr bekommt. Tarō ist die geschädigte Streitpartei  – du darfst zuerst wählen.«
    Tarō schüttelte den Kopf. »Ich habe die Art der Waffen gewählt. Der Kleine Kawabata soll sich die Klinge selbst aussuchen.«
    Der Kleine Kawabata brummte etwas, das Anerkennung hätte sein können. Er streckte die Hand aus und nahm eines der Essstäbchen. Er sah es an, ging dann zu dem Gestell hinüber und nahm sein Schwert herunter. Tarō folgte ihm und nahm sich das andere tödlich scharfe Katana. Er ließ es durch die Luft sausen, drehte es in der Hand und bewunderte den Schwung der dünnen Klinge und ihre schöne Struktur. Eine hellblaue Welle zog sich an der flachen Seite entlang. Dies war eine viel bessere Waffe als die, mit der er geübt hatte.
    Shūsaku und Kawabata trugen das Gestell beiseite und kehrten in die Mitte des Kraters zurück. »Tarō und Kleiner Kawabata, bitte tretet in die Mitte des Kreises«, sagte Shūsaku. »Es gibt nur eine Regel in diesem Kampf. Einer von euch muss sterben. Wenn keiner von euch fähig ist, den anderen zu töten, entscheiden die Anführer des Klans  – also Kawabata und ich  –, wer von euch weniger tapfer gekämpft hat, und derjenige wird hingerichtet. Habt ihr verstanden? Einer von euch beiden wird hier und heute sterben.«
    Tarōs Magen machte einen Satz wie ein Fisch.
    Kawabata versetzte seinem Sohn einen scharfen Schlag auf den Rücken.

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