Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
davongelaufenen Frauen. Meistens erwischte er sie am Ende doch.
Aber Oda no Hana war zurückgekommen, zu aller Überraschung. Die Wachen hatten durchaus Mitgefühl mit ihr gehabt, denn alle gingen davon aus, dass sie vor der Hochzeit davonlaufen wollte, die ihr Vater für sie arrangiert hatte. Noch überraschender jedoch war die Geschichte, mit der sie zurückgekehrt war – über eine Begegnung mit vier Rōnin, die sie alle eigenhändig getötet haben wollte.
Zu seiner Überraschung ertappte Kira sich dabei, wie er sich aufmerksam vorbeugte, während der alte Mann diese Geschichte erzählte, die Kira von seinem Herrn, dem Fürsten Oda, nie gehört hatte. Er vermutete, dass das Gefolge des Mädchens den Vorfall vertuscht hatte.
Nicht zu fassen – dass der Hinweis, der wichtigste Hinweis, von Daimyō Odas Tochter selbst stammte! Man stelle sich nur vor, diese Geschichte wäre nie ans Tageslicht gekommen!
Dem Wächter zufolge bewies die Geschichte vor allem, dass Prinzessin Hana eine wahre Samurai war – mutig, entschlossen, geschickt.
Kira war anderer Meinung. Er sah einen Beweis dafür, dass sie log.
Es war jedoch unmöglich, die Frage zu klären, denn als die Wachen gleich am folgenden Tag zu der Stelle gegangen waren, die Prinzessin Hana beschrieben hatte, war von den Leichen keine Spur zu sehen gewesen.
»Was kann das nur bedeuten?«, fragte der Wächter. »Was ist mit ihnen geschehen?«
Kira hatte gelächelt, denn er hatte erkannt, was das bedeutete. Hana war dem Ninja begegnet.
Am nächsten Tag wurde der alte Soldat – den alle als freundlichen Mann in Erinnerung hatten, ein wenig redselig, wenn er zu viel getrunken hatte, aber wer war das nicht? – im Bewässerungskanal gefunden. Seine Kehle war aufgeschlitzt, und sein Blut düngte die Reisfelder des Dorfes. Kira war bereits unterwegs. Ein paar Tage später hörte er einen seltsamen Bericht über einen Mann, der einen Reisdieb gestellt hatte – nicht weiter als einen Tagesritt entfernt – und von diesem Dieb in den Hals gebissen worden war. Die Dorfbewohner sahen darin das Treiben böser Geister. Kira hingegen sah wieder den Ninja.
Und dann kam der Vorfall in dem Dorf Suto – die junge Ninja, die sie aufgehalten hatte, indem sie sich für Tarō ausgegeben hatte. Suto lag ganz in der Nähe des Ortes, wo der Mann gebissen worden war – nur ein Tal weiter!
Doch seither war die Spur erkaltet.
Nun, Tage später, streckte Kira den Rücken, während er in einen Bergbach pisste. Wie üblich war das sehr unangenehm. Der portugiesische Arzt, den die großen Kaufleute dem Fürsten Oda als Geschenk geschickt hatten, behauptete, es befänden sich Steine in Kiras Blase, und das freute Kira sehr. So lange hatte er von Wasser und den Früchten des Bodens gelebt und alles Fleisch gemieden, dass sein Körper selbst zu Stein wurde . Das war beinahe schön.
Bedauerlicherweise war es aber auch sehr schmerzhaft.
Der Urin, der sonst nach seinem Belieben so leicht geflossen war, sickerte nun in quälenden Tröpfchen hervor – manchmal sogar mit Blut vermischt. Sofern er ihn überhaupt dazu bewegen konnte, aus ihm herauszufließen. Das entbehrte nicht einer gewissen Ironie, denn Kira hatte in all seinen Jahren im Dienst des Fürsten eher das Gegenteil erlebt. Mit dem Alter hatte sich seine Überredungskunst immer weiter gesteigert, so dass ihm Informationen immer leichter zugeflossen waren als zuvor.
Manchmal waren sie mit Blut vermischt.
Kira befand, dass er vorerst vermutlich nicht mehr herausbekommen würde, und wandte sich ab, um zu seinen Männern zurückzukehren. Im Stillen verfluchte er sie. Sie waren jünger als er und besser dazu geeignet, im Gebirge herumzustreifen und nach den Einbildungen irgendeines verrückten Bauern zu suchen, der in Wirklichkeit wahrscheinlich von einer Schlange oder etwas ähnlich Langweiligem gebissen worden war.
In dem Moment, als er sich umdrehte, sah er ein zerknülltes Stück Papier, das zwischen zwei Steinen am Ufer des Baches steckte. Papier mitten in den Bergen? Kira bückte sich, hob es auf und strich es glatt. Die Botschaft begann mit: Mein lieber Tarō .
Kira grinste, und alle Gedanken an Schmerzen und Alter waren verflogen. Er wandte sich seinen Männern zu. »Umkehren. Wir reiten zum Fuji. Die Mutter des Jungen hält sich in der Umgebung des Berges auf.«
Kapitel 78
Nahe der Burg des Fürsten Oda, Nagoya
Yukiko ging durch das Handwerkerviertel. Es war nicht gut, sich hier draußen
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