Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
würde.
Er hatte den Tod seines Vaters gerächt, indem er den Fürsten Oda getötet hatte, und doch empfand er nichts. Er hatte nichts erreicht, außer den Tod eines weiteren Mannes herbeizuführen, der für ihn gesorgt hatte – eines Mannes, der ihm in den vergangenen Wochen selbst eine Art Vater geworden war.
»Es tut mir leid«, sagte Hirō. »Er war ein guter Mann.« Er zögerte. »Und Yukiko? Ist sie auch tot?«
Tarō schüttelte den Kopf. »Sie … hat sich auf Fürst Odas Seite geschlagen und ihm gesagt, wo wir sind. Ich konnte ihr nicht richtig erklären, unter welchen Umständen ich Hana schon einmal begegnet war. Ich glaube, sie hält mich für einen Verräter.«
Hirō riss die Augen auf. »Aber … Yukiko … und ich …« Er runzelte die Stirn. »Wir waren Freunde .«
»Ich weiß«, sagte Tarō. »Es tut mir leid.«
Hirōs Gesicht nahm einen harten Ausdruck an. »Nun, wenn irgendjemand weiß, wie sie kämpft, dann ich«, erklärte er. »Falls sie es auf dich abgesehen hat, wird sie erst an mir vorbeikommen müssen.« Doch es schmerzte ihn offensichtlich, das zu sagen, und Tarō war auf einmal sehr stolz auf seinen Freund.
Hirō hatte Hana anscheinend noch gar nicht richtig angesehen, doch nun wandte er auf der Treppe den Kopf nach ihr um und betrachtete sie. »Du bist das Mädchen aus dem Wald!«, rief er aus. »Das Mädchen, das Tarō diesen Ring geschenkt hat. Du bist die Tochter des Fürsten Oda?«
»Ja«, sagte Hana. »Freut mich, dich kennen zu lernen.«
Hirō überlegte kurz. »Ich kann verstehen, dass das für Yukiko sehr merkwürdig ausgesehen haben muss.«
»Ich auch«, sagte Tarō müde.
»Tja«, fuhr Hirō fort, »wir müssen fort von hier. Ehe Yukiko merkt, dass Oda schon zu lange weg ist, und selbst nachschauen kommt.«
Tarō berührte Hirō am Arm. »Warte.« Er blickte zu Hana zurück. »Mein Bruder. Wir können nicht ohne ihn gehen.«
Hana sah ihn einen Moment lang schweigend an, und er wusste, was sie dachte. Er ist doch ohnehin tot. Er wäre uns nur eine Last, die uns das Leben kosten könnte.
Aber sie nickte. »Ich hole ihn.«
Sie drehte sich um, lief die Treppe hinauf und kam gleich darauf mit dem Kind über der Schulter zurück. Der Körper des kleinen Jungen war so ausgezehrt, dass sie ihn mühelos tragen konnte, und doch stand ihr der Schweiß auf der Stirn.
Hirō verlagerte das Gewicht seines Freundes ein wenig und spürte Tarōs warmes Blut an den Händen. Er betete zum Mitfühlenden Buddha, dass der Tod Tarō nicht holen möge, jetzt noch nicht. Er ging an Daimyō Odas Leichnam vorbei, dessen Glieder unnatürlich verrenkt waren.
Tarō zwang sich, Oda anzusehen. Der Mann war zweifelsohne tot.
Hana betrachtete den gebrochenen Körper ihres Vaters, und Trauer fuhr ihr wie ein scharfes Messer in den Bauch und schlitzte sie auf; als sie an sich hinabschaute, war sie überrascht, dass sie nicht blutete – dass ihr Körper solchen Schmerz aushalten konnte.
Sie spürte die zarten Knochen eines Tokugawa-Erben durch seine papierdünne Haut, die eisige Kälte des kleinen toten Körpers. Sie sah einen lebenden Tokugawa vor sich, der ein so viel besserer Mensch war als ihr grausamer, ehrloser Vater. Sie fasste einen Entschluss. Von nun an war dies ihre Aufgabe, ihre Verantwortung.
Tarō spürte, wie Hirōs Muskeln und Sehnen sich immer mehr verspannten.
Er blickte zur Seite. Hanas Tränen trockneten auf ihren Wangen. Der Kleine Kawabata ging neben ihr her und half ihr, den kleinen Bruder zu tragen, den er nie kennen lernen würde. Er fand es erstaunlich, dass dieser Junge, der in dem Reisspeicher im Gebirge versucht hatte, ihn umzubringen, jetzt mit ihm die Stufen von Odas Turm hinabstieg, nachdem er ihm geholfen hatte, sich zu rächen und am Leben zu bleiben.
Er blickte nach unten. Sein Blut trocknete auf dem Gewand seines Freundes.
Zusammen stiegen sie die harten Stufen hinunter, so hart wie der Weg, der noch vor ihnen lag, und traten hinaus ins Licht.
Keiner von ihnen bemerkte die Blutstropfen, die noch aus Tarōs schrecklicher Wunde tropften und eine rote Spur auf dem Stein hinterließen.
Keiner von ihnen sah den Tropfen, der, wie von einem grausamen Gott gelenkt, in Odas offenen Mund fiel.
Und keiner von ihnen sah, dass der gebrochene Mann einen Moment später die Augen weit aufriss und einen tiefen Atemzug tat, bei dem die Luft durch seine gebrochenen Knochen pfiff. Die onyxschwarzen Augen fixierten seine davoneilenden Feinde mit glitzerndem
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