Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
aufs Meer hinaus. Ein schwacher Schimmer hob bereits den Horizont hervor, wo die erste Morgendämmerung das Meer vom Himmel trennte, die zuvor im Dunkeln miteinander verschwommen waren. »Aber zunächst einmal müssen wir rudern.«
»Warum?«
»Da ist noch etwas, das du über Vampire wissen musst. Die Sonne ist tödlich für uns.«
Kapitel 7
Im hellen Licht des frühen Morgens tätschelte Prinzessin Oda no Hana den Hals ihres Pferdes und lehnte sich im Sattel zurück. Dabei hielt sie den linken Arm ganz still, damit sie Kame nicht erschreckte, den wunderschönen Sperber, der auf einem ledernen Armband auf ihrem Handgelenk saß. Das Sperberweibchen trug noch seine Haube – es neigte den Kopf zur Seite und lauschte auf die Geräusche des Waldes. Ein kleiner Bach plätscherte ganz in der Nähe, und aus der Ferne war der Ruf eines Kuckucks zu hören.
Hana streichelte Kames Kopf. Ihre Hand trug noch die Narben, die sie sich zugezogen hatte, während sie Kame gezähmt hatte. Der Sperber gab einen kehligen Laut von sich, drückte sich an Hanas Hand und trippelte auf dem ledernen Armband leicht hin und her.
Sie konnte es kaum erwarten, endlich frei zu sein – und Hana wusste genau, wie der Sperber sich fühlte.
Aber Hana war noch nicht bereit, ihn loszulassen. Kame war ein Raubvogel, der nur auf kurze Entfernung jagte, kein Wanderfalke, wie Hanas Vater ihn besaß. Sie musste warten, bis die Beute nah genug war, ehe sie Kame befreite. Sonst würde der Sperber vielleicht davonfliegen und niemals zurückkehren. Natürlich bestand diese Gefahr bei einem Greifvogel immer. Er war kein treues Tier wie ein Pferd, und Hana respektierte Kame für diese Unabhängigkeit. Man wusste stets, dass der Vogel nur bei seinem Jagdherrn blieb und dessen Wünschen gehorchte, weil er damit einverstanden und zufrieden war. Er war ein Raubtier, eine Waffe, die sich die Berührung einer menschlichen Hand eine Zeitlang gefallen ließ, sich aber eines Tages wieder verabschieden würde.
Wenn ein Schwert denken könnte , sagte sich Hana , wäre es nicht viel anders als ein Greif.
Hana sog den Duft des Kiefernwaldes ein. Sie war nicht weit von der Burg entfernt, von der aus ihr Vater, der Daimyō Oda Nobunaga, sein Lehen regierte. Doch auf dieser Lichtung war sie allein und konnte endlich einmal nur das Gefühl des Pferdes unter sich genießen und die klare Luft um sie herum. Ihr Vater hatte keine Söhne, sagte aber manchmal im Scherz, dass Hana seinen männlichen Geist geerbt haben musste, obwohl sie seinen Titel nicht erben konnte und nie über die Region Kantō herrschen würde.
Hana fand, dass genug Zeit vergangen war, seit sie auf die Lichtung gekommen waren, und entfernte die Haube. Der Sperber suchte mit scharfen Augen die umstehenden Bäume ab, blickte dann zu Hana auf und stieß einen aufgeregten Schrei aus – ki, ki, ki. Kame zerrte an den ledernen Bändern, die sie an Hanas Handgelenk fesselten.
In diesem Augenblick sah Hana eine schnelle Bewegung über den Bäumen – eine Taube. Mit einem geübten, ruhigen Handgriff löste sie die Lederriemen und streckte schwungvoll den linken Arm aus. Kame schoss mit angelegten Flügeln von ihrem Handgelenk und hob sich dann mit flatternden Schwingen in die Luft. Hana beobachtete stolz, wie schnell ihr Vogel über die Bäume aufstieg.
Die Taube flog eine scharfe Kurve, als sie den Sperber entdeckte, doch es war viel zu spät. Kame war hierzu geboren. Sie war so effizient und zielgerichtet wie eine gut geschliffene Waffe, ganz Muskeln, Klauen und scharfe Augen. Als die Beute sich seitlich absinken ließ, stieß Kame einen weiteren heiseren Ruf aus – ki, ki, ki, ki –, legte die Flügel an und stürzte so gerade und genau wie ein Pfeil auf ein Stückchen leere Luft herab …
(Hana hielt den Atem an.)
… das eine Sekunde später die Taube enthielt. Der Sperber hatte ihre Flugbahn gesehen und kalkuliert, schon ehe er sich zum Angriff entschlossen hatte.
Ein erschrockenes Gurren und ein Flattern und Knattern wie von Wäsche auf der Leine war zu hören, während der Sperber und die Taube kreiselnd durch die Luft trudelten. Kame hatte Mühe, den schweren Vogel im Fallen richtig zu packen, doch bald hatte sie die Taube im Griff und glitt anmutig zu Boden, die erschlaffte Taube in den Klauen.
Hana drückte ihrem Pferd die Fersen in die Seiten und trabte unter die Bäume. Kame stand auf der toten Taube neben einem abgebrochenen Ast, der dicht mit Moos bewachsen war, und blickte
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