Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
dir war es ein wenig anders.«
»Du hast das getan, um mir das Leben zu retten.«
»Ja.«
»Und was jetzt?«
Der Ninja verkrampfte sich, und Tarō hätte beinahe glauben können, dass Shūsaku ausnahmsweise einmal unsicher war, vielleicht sogar besorgt.
»Ich bringe dich in die Heimat meines Klans«, erklärte er. »Das ist der sicherste Ort für dich.« Er sprach diese Worte aus, als wollte er sich ebenso überzeugen wie die beiden Jungen, und Tarō runzelte die Stirn. Irgendetwas beunruhigte den Ninja. Was war es? »Ich habe keine weiteren Anweisungen erhalten, außer der, dir das Leben zu retten. Ich muss zurückkehren und auf neue Nachrichten warten.«
Tarō biss sich ungeduldig auf die Lippe. »Und wie lange wird das dauern? Ich will meine Mutter finden. Du hast gesagt, sobald ich in Sicherheit bin, würden wir nach ihr suchen.«
Erst als er das aussprach, drehte ihm die Erkenntnis, wie sehr er sie jetzt schon vermisste, das Herz im Leibe um. Er wollte sich in ihre Arme schmiegen, damit sie all das hier verscheuchen konnte wie den Albtraum eines Kindes.
Doch dann stand ihm ungebeten das Bild von seinem Vater vor Augen, wie er ihn zuletzt gesehen hatte – als kopflose Leiche in einer Blutlache.
Und das war kein Albtraum, aus dem man einfach aufwachen konnte.
Um seine Trauer herum lag wie die scharfen Spitzen, die an den Schaft mancher Schwerter geschmiedet wurden, ein mörderisches Verlangen nach Rache. Tarō wusste: Sosehr er seine Mutter auch vermisste, er wollte auch seinen Vater rächen. »Und dann finden wir denjenigen, der diese Ninja geschickt hat. Den, der für den Tod meines Vaters verantwortlich ist.«
Shūsaku winkte müde ab. »Deine Mutter sucht eine Zuflucht, ein sicheres Versteck. Du wirst sie allein nicht finden. Wir müssen auf die Taube warten, die ich ihr mitgegeben habe.«
»Gut, vielleicht kommt sie bald.«
Der Ninja schnaubte. »Sie ist ein kluger Vogel, aber so klug nun auch wieder nicht. Sie kann mich nicht finden, wo auch immer ich gerade bin. Sie wird zu mir nach Hause fliegen. Also musst du mit mir dorthin zurückkehren.«
Tarō war kribbelig vor Ungeduld. Er wollte seine Mutter jetzt suchen, doch er sah ein, dass der Ninja recht hatte. »Dann also mein Vater. Wir suchen seine Mörder. Und rächen uns.«
Shūsaku seufzte. »Ja, natürlich. Aber was könntest du schon ausrichten, ein Junge ganz allein, der kaum weiß, wie er seine Kräfte einsetzen kann? Selbst ein einziger voll ausgebildeter Ninja würde dich abschlachten wie ein Schwein. Und wer immer hinter dir her ist – es ist ihm sehr ernst mit seiner Absicht, dich zu töten. Die Dienste der Ninja sind nicht billig. Ich habe noch nie gesehen, dass so viele auf ein einziges Ziel angesetzt wurden. Normalerweise könnte sich das niemand leisten. Außerdem reicht für die meisten Missionen einer von uns völlig aus.« Er sagte das mit unüberhörbarem Stolz – als sei das Töten unbewaffneter Männer etwas Beeindruckendes. Als sei es ebenso heldenhaft, sich zu verkleiden und Menschen zu ermorden, ehe die überhaupt merkten, dass sie angegriffen wurden, wie sich als Samurai im Kampf tapfer zu behaupten.
Doch es hatte auch ein paar Vorteile, ein Ninja zu sein.
»Ich bin jetzt ein Vampir«, wandte Tarō ein. »Ich bin stark.«
Shūsaku zog ein Kurzschwert aus seinem Gewand. Er lächelte Tarō an. Dann führte er ohne jede Vorwarnung einen Hieb gegen Hirōs Hals. Tarō zögerte keinen Augenblick. Er schoss vor, streckte die Hand aus und hatte sich im Bruchteil eines Herzschlags vor seinen Freund geschoben. Seine Finger schlossen sich um das Handgelenk des Ninja und hielten die Klinge auf, die beinahe die Haut erreicht –
Nein. Das war keine Klinge mehr.
Shūsaku wedelte mit dem dünnen, grünen Zweig, den er Hirō an die Kehle hielt. Hirō blickte mit großen Augen darauf hinab. »Dreh dich um«, sagte Shūsaku zu Tarō, der immer noch sein Handgelenk festhielt. »Schau hinter dich.«
Tarō drehte sich um. Das Schwert lag nun in der anderen Hand des Ninja, die Klinge so dicht an seinem eigenen Nacken, dass sie die dünnen Härchen dort berührte.
»Du bist schnell«, sagte Shūsaku. »Das warst du vermutlich vorher schon, aber Vampire haben bessere Reflexe und größere Kraft als gewöhnliche Menschen. Und doch hast du noch viel zu lernen. Stell dir vor, ich wäre einer der Mörder deines Vaters, der jetzt deinen Freund angreift. Du hättest ihn vor einem grünen Zweig gerettet und dafür eine Klinge ins
Weitere Kostenlose Bücher