Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
seine Arbeit tut? Niemals. Sie operieren nur bei Nacht – lautlos, heimlich, tödlich. Da ist es doch nur logisch, dass Ninja Vampire sind.«
Hirō wirkte verwirrt. »Und jetzt … ist Tarō …«
»Einer von uns, ja.«
»Was bedeutet das?«, fragte Tarō. »Ich meine, ich weiß jetzt, dass meine Wunden schnell heilen, aber … Vampire saugen Blut, nicht wahr?« Bei dem Gedanken wurde ihm schlecht.
»Ja, das tun wir. Aber nicht alle von uns sind Mörder.«
»Nicht alle?«
»Unsere Freunde am Strand leben nach einem etwas anderen Kodex als ich. Man könnte sagen, dass sie einem anderen Klan angehören. Wenn sie trinken, töten sie ihre Opfer.« Tarō dachte an den Dorfbewohner, der ausgeblutet worden war, wie der Rōnin erzählt hatte. »Ich sauge nur so viel Blut, wie ich zum Überleben brauche. Tarō werde ich das auch lehren. Ich glaube, dass es unentschuldbar ist, meine Nahrung zu töten. Man könnte behaupten, dass ich ein besserer Buddhist bin als die meisten Dörfler. Sie zögern nicht, Fische zu töten. Ich hingegen töte nichts!« Er lachte.
»Du tötest Ninja«, wandte Tarō ein, der das gar nicht zum Lachen fand.
»Nun ja, das stimmt«, sagte Shūsaku und klang beinahe wie ein getadeltes Kind. »Das ist etwas anderes. Ich habe sie getötet, um dich zu retten.«
»Wenn sie nicht zu deinem Klan gehören, weshalb warst du dann bei ihnen?«, fragte Hirō.
»Einer aus der Gruppe ist kürzlich bei einem schrecklichen Unfall umgekommen. Ihr Anführer hat daraufhin ein Dokument unterschrieben, in dem steht, dass ich seinen Platz einnehmen soll.«
»Warum sollte er das tun?«, fragte Tarō.
»Wahrscheinlich hat er gehofft, dass ich ihn dann verschonen würde.«
»Und, hast du ihn verschont?«
»Nein.«
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Tarōs Vater war ermordet worden, seine Mutter wer weiß wohin geflohen, und er selbst war in ein Ungeheuer aus einer Gruselgeschichte verwandelt worden. Jetzt saß er in einem Boot mit einem erbarmungslosen Meuchler, der keine Skrupel gehabt hatte, einen Mann von hinten mit seinem Kurzschwert zu durchbohren. Konnte ein Kyūketsuki es überhaupt zum Samurai bringen, jemals ein Held werden? Das hielt er für unwahrscheinlich.
Doch am seltsamsten war die Erkenntnis, dass er Shūsaku eigentlich mochte . Der Mann schien weder gut noch böse zu sein – und Tarō fragte sich allmählich, ob die schwarz-weiß gemalten Samurai-Geschichten, die er so liebte, womöglich nichts weiter waren als das: Geschichten, die man Kindern erzählte, um ihnen einzureden, dass es auf der Welt so etwas wie Helden und Ungeheuer gab.
Vielleicht, so dachte er, vereinten sich beide manchmal in ein und demselben Wesen.
Außerdem hatte der Mann, den Shūsaku in Tarōs Hütte so ehrlos erstochen hatte, wenige Augenblicke zuvor seinem kranken, hilflosen Vater den Kopf abgeschlagen. Daher konnte man die Art, wie der Angreifer gestorben war, als angemessen betrachten. Tarō stellte bestürzt fest, dass diese Welt der Gewalt und der Kämpfe nicht viel mit seiner glamourösen Vorstellung von Duellen, Ehre und Romantik zu tun hatte.
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und spürte seine scharfen Reißzähne. Erst als er merkte, dass Hirō ihn mit äußerst nervösem Blick beobachtete, erkannte er, wie verändert er aussehen musste. Hirō wich ein wenig zurück. »Wird er … mich beißen?«, fragte er Shūsaku.
»Das bezweifle ich. Ihr beide seid doch Freunde, oder nicht? Ich bin sicher, dass er der Verlockung deines Blutes widerstehen kann. Du isst ja auch Fische, aber das bedeutet nicht, dass du dich dazu getrieben fühlst, jeden Fisch zu essen, auf den du triffst.«
Hirō war bleich geworden.
»Aber wenn du möchtest, kannst du gehen, sobald wir an Land gehen. Meine Aufgabe ist es, Tarō zu schützen. Du kannst uns jederzeit verlassen.«
Hirō schüttelte den Kopf. »Niemals.«
»Du beweist große Treue zu deinem Freund«, sagte Shūsaku. Tarō fand, dass er beeindruckt klang.
»Er hat mir einmal das Leben gerettet.«
Shūsaku nickte ernst. »So etwas begründet große Loyalität, das stimmt. Also schön, du kannst mit uns kommen.«
»Und wo gehen wir hin?«, fragte Tarō. » Wir sollten nach meiner Mutter suchen. Ich bin sicher, dass sie –«
»Natürlich«, fiel ihm der Ninja ins Wort. »Aber das Wichtigste zuerst. Wir müssen dich in Sicherheit bringen.«
»Und dann suchen wir meine Mutter?«, hakte Tarō nach.
»Ja.«
Shūsaku wandte sich um und blickte
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