Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
führte. Der Aufstieg war mühsam. Tarō rutschte immer wieder aus und schürfte sich Knie oder Handflächen auf, doch ihm tat das sicher nicht so weh wie Hirō, der ebenfalls öfter hinfiel. Dennoch stapfte der massige Ringer stoisch weiter, ohne sich zu beklagen.
Shūsaku sprang natürlich leichtfüßig von Fels zu Fels, ohne ein einziges Mal die Balance zu verlieren.
Sie überquerten den Pass gegen Mitternacht und hielten sich dabei dicht an den Felsen, weil die Baumlinie inzwischen hinter ihnen lag und sie selbst von weit, weit unten leicht gesehen werden konnten.
Auf der anderen Seite folgten sie einem leichteren Pfad abwärts, einem beinahe trockenen Bachbett, und hatten bald wieder den Schutz der Bäume erreicht. Die Landschaft wurde nun im Osten von Bergen eingerahmt, hinter denen ein blassgrauer Schimmer aufzog – der Morgen kroch ihnen auf seinem Weg gen Westen unerbittlich entgegen.
Während sie durch den Wald schlichen, wo der moosige Boden ihre Schritte verschluckte, hob Shūsaku erneut die Hand, und sie blieben stehen. Der Ninja gestikulierte drängend mit beiden Händen und befahl Tarō und Hirō, sich hinter Bäumen zu verstecken. Sie gehorchten und entdeckten einen breiten Pfad, der sich vor ihnen durch den weichen, lehmigen Boden zog, um sich dann bergaufwärts zu einem weiteren Pass hinaufzuschlängeln.
Tarō drehte sich wieder um und sah, dass Shūsaku ihnen bedeutete, sich zu ducken. Er ging in die Hocke.
Eine gebeugte Gestalt erschien auf dem Pfad und kam langsam auf sie zu. Es war ein älterer Mann, doch Tarō vermutete, dass der krumme Rücken vermutlich eher von harter Arbeit denn vom Alter herrührte. Der Mann ging weiter, bis er einen hohen Ahorn dicht bei ihrem Versteck erreichte. Mühsam kletterte er auf den Baum, blieb auf einem der unteren, breiten Äste stehen und schlang beide Arme um den Baumstamm.
Tarō, Hirō und Shūsaku blieben mucksmäuschenstill, während der Mann den Baumstamm abtastete. Er fand ein Loch darin und schob sich davor. Dann stützte er sich mit dem Knie am Stamm ab, wobei die Muskeln in seinem Bein zitterten, und zog eine dünne Räucherkerze hervor. Mit einem Bündelchen, in dem Tarō schwelendes Moos vermutete, in feuchte Blätter eingewickelt, entzündete der Mann die Räucherkerze und hielt sie an das Loch. Tarō roch Kiefernrauch.
Vorsichtig griff der Mann mit der freien Hand in das Loch. Sein Bein zitterte nun beängstigend von der Anstrengung, sich aufrecht zu halten. Er holte eine große Honigwabe aus dem Loch und ließ sie in einen Beutel an seiner Taille fallen. Dann kletterte er umständlich von dem Baum herunter.
In diesem Moment war Hufgetrappel zu hören, das den Hügel heraufkam. Tarō drehte sich um und sah eine kleine Gruppe schwer gerüsteter Samurai auf beeindruckend großen Pferden heranreiten. Sie trugen lange Katana in kunstvoll verzierten Scheiden an den Gürteln. Als sie vorüberritten, erkannte Tarō das gestickte Oda-Mon auf ihren Rücken. Was hatten Fürst Odas Samurai noch vor Sonnenaufgang auf diesem Pfad zu suchen?
Was auch immer sie hier taten, die Samurai waren prachtvoll. Tarō bewunderte das schimmernde Metall ihrer Rüstungen, die prächtigen Einlegearbeiten an den lackierten Schwertscheiden. Unwillkürlich trat er einen Schritt auf die Männer zu. Jeder von ihnen trug die vollständige, kostbare Samurai-Tracht: Kimono mit wunderschönen Stickereien von Blumen, Vögeln und Bergen, Nodowa, die ihre Kehle schützten, und Sode als Schutz für die Schultern. Passgenaue Brustharnische, Dō genannt, sicherten ihre Oberkörper.
»Du, Bauer«, sagte einer der vordersten Samurai zu dem alten Mann, der wie erstarrt am Wegrand stand und diese unglaublichen Erscheinungen vor ihm anstarrte. Tarō wich hinter den Baum zurück. Irgendetwas an der Stimme des Kriegers machte ihm Angst.
Das Pferd des Samurai scharrte mit einem Vorderhuf, als fiele es ihm schwer, stillzustehen. Es strahlte eine mühsam gezügelte Kraft aus. Der Samurai, der auf diesem edlen Tier saß, war ein sehr dünner Mann mit strähnigem, schmierigem Bart. Seine Haut war sehr blass und mit roten Äderchen durchzogen, die schwach pulsierten. Es sah aus, als würde er von kriechenden Geschöpfen von innen aufgefressen.
»Ich sagte: ›Du, Bauer‹«, wiederholte der Samurai in drohendem Tonfall.
Der alte Mann antwortete immer noch nicht, offenbar wie betäubt vor Schreck. Ein solcher Bergbewohner, dachte Tarō, hatte in seinem Leben gewiss noch nicht viele
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