Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)

Titel: Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Lake
Vom Netzwerk:
gemalt. Die Szene wurde vom Mond und vom Kerzenschein erhellt, der durch hohe Shōji-Türen als weicher Schimmer auf Gras und Moos fiel.
    In der Mitte des Gartens stand ein Reiher ganz still in einem Zierteich, als bewundere er sein Spiegelbild, das der Mond klar aufs Wasser warf. Am Ufer des Teichs strichen die Zweige einer Trauerweide sacht über weiches Gras. Ganz hinten erhob sich ein Felsengarten, der einer Berglandschaft glich, bis hin zu kleinen Bonsai-Kiefern.
    Von den Bergen floss ein leise plätschernder Bach zum Teich. Eine Brücke schwang sich in elegantem Bogen darüber, und auf der Brücke waren die schmalen Silhouetten von drei Frauen zu sehen  – oder vielmehr, erkannte Tarō nun, von einer Frau und zwei Mädchen.
    Die Mädchen knieten sich hin. Sie hielten längliche Laternen mit Shōji-Fenstern in den Händen. Jede Seite war mit einer anderen, kräftigen Primärfarbe bemalt und repräsentierte eines der vier Elemente. Die Laternen des Tōrōnagashi sollten den Toten Botschaften bringen. In den Laternen flackerten Kerzen, die buntes Licht auf das kalte Wasser des Baches und den moosigen Boden warfen.
    »Ich bitte die Geister meines Vaters und meiner Mutter und alles, was ungelöstes Karma ist, diese Botschaften anzunehmen«, sagte eines der Mädchen mit leicht erstickter Stimme. Sie ließ ihre Laterne aufs Wasser hinab, und sie trieb kreiselnd davon. Das andere Mädchen sprach dieselben Worte und setzte seine Laterne aufs Wasser, die sogleich ihrer Gefährtin nacheilte.
    In Tarō wallte Mitgefühl auf. Sie schicken Tōrōnagashi-Botschaften an ihre Eltern , dachte er. Sie müssen Waisen sein.
    Shūsaku wartete, bis die schwimmenden Laternen den Bach entlang- und durch ein Loch in der Mauer aus dem Garten hinausgetrieben waren, ehe er den Garten betrat. Der Reiher wandte den Kopf nach ihm und erhob sich dann schwerfällig und doch irgendwie anmutig in die Luft.
    Tarō und Hirō folgten Shūsaku in den Garten, als das größere der beiden Mädchen nach Luft schnappte. »Ein Ninja!«
    Shūsaku legte den Zeigefinger an die Lippen. »Ich bin es, Shūsaku«, zischte er.
    »Onkel Shūsaku!«, rief das Mädchen, kein bisschen leiser als zuvor.
    Beide Mädchen verließen die Brücke und kamen herbeigerannt. Jetzt sah Tarō, dass diejenige Schwester, die gesprochen hatte  – sie schien die ältere zu sein  –, schlank und groß war, mit einem klugen, freundlichen Gesicht. Die andere war muskulöser, mit verschlossener Miene und kürzerem Haar.
    Shūsaku schloss die Tür hinter sich, und den Mädchen folgte die schönste Frau, die Tarō je gesehen hatte.
    Shūsaku verneigte sich. »Äbtissin«, sagte er.
    »Shūsaku. Du bist zurück.« Die Stimme der Frau klang neutral und verriet weder Freude noch Schmerz. »Aber weshalb trägst du in meinem Haus die Maske?«
    Shūsaku schüttelte den Kopf. »Das kann ich im Augenblick nicht erklären. Später.«
    Tarō starrte sie an. Konnte das wirklich die »alte Frau« sein, von der Shūsaku gesprochen hatte? Sie war so elegant, so anmutig, ihre Haut so glatt …
    Doch dann bedeutete ihm die Frau, näher zu kommen, und Tarō sah, dass ihr Gesicht von feinen Fältchen durchzogen und ihr Haar nicht vom Mondlicht gefärbt, sondern tatsächlich schneeweiß war.
    Die Frau wandte sich Shūsaku zu. »Der Junge. Ist er das? Ist er der  –«
    »Ja«, fiel Shūsaku ihr ins Wort. Tarō fragte sich, was sie gerade über ihn hatte sagen wollen. »Ist das so offensichtlich?«, fügte Shūsaku hinzu. » Woher wusstet Ihr, dass es nicht der andere ist?« Er wies auf Hirō, der sich vor Verlegenheit wand.
    Die Frau betrachtete Hirō und lachte. »Nein. Er ist ein prächtiger Junge, aber …« Sie wandte sich wieder Tarō zu. »Diesen hier umweht die Bestimmung wie Rauch.« Sie musterte Tarō und sagte dann zu Shūsaku: »Du hast ihn zum Vampir gemacht.« Das klang wie eine Feststellung und eine Frage zugleich.
    »Ja«, antwortete Shūsaku beinahe seufzend. »Es war unvermeidlich.«
    Das jüngere Mädchen  – Yukiko  – sog scharf den Atem ein und starrte Tarō stirnrunzelnd an. Er wich einen Schritt zurück, als er die Feindseligkeit in diesem Blick bemerkte, doch Yukiko fasste sich und lächelte, und er entspannte sich.
    Die Frau nickte langsam. » Wenn du das sagst, muss es so sein.« Sie sah Tarō an. »Ich werde später in seine Zukunft blicken. Das dürfte interessant werden. Aber zuerst sag du mir lieber, warum ihr hier seid.«
    »Wir brauchen eine sichere

Weitere Kostenlose Bücher