Der Novize des Assassinen: Roman (German Edition)
Haie warteten schon, und als sie zum Angriff ansetzten, hievten Tankais Matrosen ihn tropfnass und würdelos in einem Thunfisch-Netz aus dem Wasser. Also segelte er zurück zum Festland und streifte fortan voller Scham an der Küste entlang.
So begegnete er seiner Frau.
Als Tankai mit seiner Geschichte fertig war, seufzte er tief. Doch seine Frau lächelte vor Freude. ›Ich bin Taucherin! Ich könnte die Kugel für dich heraufholen.‹
Tankai war besorgt. ›Aber was, wenn dir etwas zustieße? Das könnte ich mir nie verzeihen.‹ Er betrachtete ihren Sohn, und Tankais Augen schwammen in Tränen.
Seine Frau strich ihm sacht über die Stirn. ›Wenn ich dir die Kugel zurückbringen kann, wirst du mir dann versprechen, unseren Sohn als deinen Erben anzuerkennen?‹ Tankai willigte mit Freuden ein. Schon jetzt konnte er das Versprechen auf wahre Größe in den Zügen seines Sohnes erkennen.
Früh am nächsten Tag segelten sie aufs Meer hinaus. Die Frau band sich ein langes Seil um die Taille und sagte: ›Zieh mich hoch, wenn ich an diesem Seil zupfe. Das bedeutet, dass ich die Kugel habe.‹ Ihr Mann nickte und hielt das Ende des Seils fest. Dann nahm seine Frau ein Bleigewicht, sprang geschickt vom Boot und verschwand in der Tiefe. Immer weiter hinunter tauchte sie durch die kalte Dunkelheit und war froh um das Seil – denn das hatte zumindest ein Ende, während die Tiefe des Meeres unendlich schien. Schließlich erreichte sie einen glitzernden Korallenpalast, bewacht von acht Haien, so groß wie Boote, und zwei grimmig aussehenden Drachen.
Als sie die gleichgültige Grausamkeit in den Augen der Haie bemerkte, zögerte sie einen Augenblick. Doch dann rief sie die Buddhas um Beistand an, schwamm in den Palast hinein und benutzte ihr Blei, um schneller durch das eisige Wasser voranzukommen. Die Kugel lag auf einem Altar aus Seetang inmitten des großen Korallensaals, und sie griff rasch zu. Doch nun schwammen die Haie hinter ihr her und schnappten mit ihren gewaltigen Kiefern. Einer von ihnen versetzte ihr einen Schlag mit dem Schwanz, und während sie mit den Armen ruderte, schoss ein anderer unter ihrem Arm hindurch und biss ein Loch in ihre Brust. Die anderen Haie witterten das Blut und gerieten in Raserei, doch Tankai hatte den Ruck am Seil gespürt, als der erste Hai sie getroffen hatte, und zog nun mit aller Kraft.
Tankai konnte nicht glauben, wie viel Seil er da heraufholte, doch schließlich zog er den Körper seiner Frau ins Boot, blutig, leblos und ohne die Kugel. Er hielt sie in den Armen, wiegte sich vor und zurück und beklagte den Verlust der beiden kostbarsten Dinge in seinem Leben. Dann flüsterte seine Frau mit ihrem letzten Atemzug: ›Sieh in meine Brust.‹
Tankai griff in das Loch, das der Hai in ihre Brust gebissen hatte, und fand die Kugel darin – seine geliebte Frau hatte das verloren geglaubte Geschenk in sich geborgen. Er umklammerte sie und spürte ihre Macht.
Dann warf er den Leichnam seiner Frau über Bord und vergaß sie. Die Kugel hatte seine Sinne betört, und er konnte an nichts anderes mehr denken als an die Macht über alles in der Welt, die sie ihm verlieh. Denn die Buddha-Kugel ist des Buddhas eigenes Modell der Welt, und so beherrscht, wer sie besitzt, alles auf der Erde, in der Luft und im Wasser.
Einige Zeit später reiste Tankai mit seinem Sohn Fusazaki zurück in die Hauptstadt, wo er nach dem Tod seines Vaters Kaiser wurde und das Land mit Hilfe der Kugel leicht regierte. Mit der Kugel in der Hand konnte er Stürme aufpeitschen, die Sonne verdunkeln, das Land seiner Feinde mit Hungersnöten peinigen und sogar – sollte er das wünschen – den Tod selbst des geringsten Geschöpfs im Lande fordern. Denn die Kugel zeigte ihm jede Einzelheit der Welt, bis hinab zu einer Fliege auf einem Grashalm in der Nachbarprovinz, und verlieh ihm Macht darüber.
Viele Jahre vergingen, und Fusazaki wuchs zu einem prächtigen jungen Mann und würdigen Thronerben heran. Aber nur noch selten dachte Tankai an seine Frau, Fusazakis Mutter, oder sprach gar von ihr. Wenn der Junge nach ihr fragte, verschloss der Vater sich stets wie eine Auster, er wollte seinem Sohn nicht einmal sagen, ob sie noch lebte, und beschrieb ihre große Liebe nur mit ein paar wenigen, vagen Worten. Er erklärte Fusazaki auch nicht zu seinem Erben, sondern zog den Sohn einer seiner Konkubinen vor, der aus politischen Gründen die günstigere Wahl war.
Dann, eines Tages im Frühling, spielte der
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