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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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wie vereinbart gemeldet hat, hätte die Downing Street offiziell beim russischen Botschafter protestieren müssen.«
    »Offiziell protestieren?« Seymour schüttelte langsam den Kopf. »Vielleicht ist Ihnen nicht bewusst, dass Großbritannien mehr Geld in Russland investiert hat als jeder andere westliche Staat. Der Premierminister denkt nicht daran, diese Investitionen zu gefährden, indem er einen weiteren heftigen Streit mit dem Kreml vom Zaun bricht.«
    »Wenn wir die Kapitalisten aufhängen, werden sie uns den Strick verkaufen. «
    »Stalin, richtig? Der alte Knabe hatte nicht ganz unrecht. Der Kapitalismus ist die größte Stärke des Westens, aber auch seine größte Schwäche.«
    Gabriel legte den Brief auf den Tisch und wechselte das Thema. »Meines Wissens hat Grigorij an einem Buch gearbeitet.«
    Seymour übergab ihm einen Stapel Papier. Er war gut zwei Zentimeter dick und wurde von zwei schwarzen Metallklammern zusammengehalten. Gabriel las, was auf der Titelseite stand: »KILLER IM KREML« VON GRIGORIJ BULGANOW.
    »Ein ziemlich ansprechender Titel, wie ich finde«, sagte Seymour.
    »Ich bezweifle, dass die Russen das auch so sehen würden. Vermutlich haben Sie es gelesen?«
    Seymour nickte. »Er geht mit dem Kreml hart ins Gericht und lässt kaum ein gutes Haar an seinem früheren Dienst. Er wirft dem FSB alle möglichen Verbrechen vor, darunter Mord, Erpressung und Verbindungen zum organisierten Verbrechen sowie zu Oligarchen. Und er weist ziemlich überzeugend nach, dass der FSB in die Bombenanschläge auf die Moskauer Wohnblocks verwickelt war, mit denen der russische Präsident damals den erneuten Einsatz der Roten Armee in Tschetschenien gerechtfertigt hat. Grigorij behauptet, die an diesem Unternehmen beteiligten Offiziere persönlich gekannt zu haben, und gibt zwei Namen preis.«
    »Komme ich auch vor?«
    »Es gibt ein Kapitel über den Fall Charkow, das sich aber nicht allzu genau an die Fakten hält. In Grigorijs Darstellung hat er die Fla-Raketen, die Charkow der al-Qaida verkauft hat, ganz allein aufgespürt. In dem Mauskript kommen weder Sie noch irgendwelche Verbindungen nach Israel vor.«
    »Was ist mit seinen handschriftlichen Notizen oder Computerdateien?«
    »Die haben wir alle durchsucht. Aus Grigorijs Sicht haben Sie nie existiert.«
    Gabriel blätterte das Manuskript durch. Auf Seite sechs stand eine englische Anmerkung am Rand. Er las sie, dann sah er fragend zu Seymour auf.
    »Die ist von Grigorijs Lektorin bei ›Buckley and Hobbes‹. Ich denke, wir werden dem Verlag irgendwann mitteilen müssen, dass er nicht damit rechnen kann, in nächster Zeit ein Buch zu bekommen.«
    »Sie haben ihre Anmerkungen gelesen.«
    »Wir haben alles gelesen.«
    Gabriel blätterte weiter und stieß bald auf eine weitere Randnotiz. Im Gegensatz zu der ersten Anmerkung war sie auf Russisch. »Die muss von Grigorij stammen«, erklärte Seymour.
    »Die Handschrift stimmt nicht mit der des Briefs überein.«
    »Den hat er in lateinischer Schrift verfasst. Hier hat er Kyrillisch geschrieben.«
    »Glauben Sie mir, Graham, Brief und Anmerkung sind nicht von derselben Hand.«
    Gabriel blätterte die übrigen Seiten rasch durch und fand mehrere Randnotizen in derselben Schrift. Als er wieder aufsah, nahm Seymour gerade die DVD aus dem DVD-Player. Er legte sie in die Plastikhülle zurück, die er Gabriel übergab. Die Botschaft war klar: Ihre Besprechung war beendet. Hätten noch Zweifel an Seymours Beschluss bestanden, wären sie durch seinen demonstrativen Blick auf seine Armbanduhr beseitigt worden. Gabriel äußerte noch eine letzte Bitte. Er wollte den Rest des Hauses sehen. Seymour stand langsam auf. »Aber wir stemmen keine Fußbodendielen hoch oder ziehen Tapeten ab«, sagte er. »Ich bin zum Abendessen verabredet. Und ich bin schon zehn Minuten zu spät dran.«

12 M AIDA V ALE , L ONDON
    Gabriel folgte Seymour zwei schmale Treppen ins Schlafzimmer hinauf. Auf dem Nachttisch rechts neben dem Doppelbett stand ein Aschenbecher voller ausgedrückter Zigaretten. Alle von einer Marke: Sobranie White Russian, wie Grigorij sie bei Gabriels Verhör in der Lubjanka und während ihrer Flucht aus Russland geraucht hatte. Unter der Leselampe aus Messing stapelten sich Bücher: Lew Tolstoi, Fjodor Dostojewski, Agatha Christie, P. D. James. »Er hat englische Krimis geliebt«, sagte Seymour. »Er hat geglaubt, wenn er P.D. James läse, könnte er mehr wie wir werden – obwohl mir schleierhaft ist, wie jemand den

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