Der Oligarch
einzeln unter falschen Namen und mit gefälschten Pässen in den Taschen nach Europa gereist. Drei landeten in Rom und fuhren mit einem Mietwagen nach Norden, drei landeten in Zürich und fuhren nach Süden. Wie durch einen großen Zufall legten sie mit nur wenigen Minuten Abstand am Bootssteg der Villa an. Herr Kiever, der sie dort begrüßte, bezeichnete das als gutes Omen. Die sechs Männer und Frauen äußerten sich nicht dazu. Sie waren schon früher unter Herrn Kievers Stern gesegelt und wussten, dass sich stille Wasser ohne große Vorwarnung oder gar ganz überraschend in eine stürmische See verwandeln konnten.
Ähnlich zurückhaltend war die neueste Ergänzung dieser illustren Agentenriege: Olga Suchowa. Die anderen kannten sie natürlich dem Namen und ihrem Ruf nach, aber keiner hatte die berühmte russische Journalistin jemals persönlich kennengelernt. Ihre Vorstellung übernahm Gabriel mit der lässigen Unverbindlichkeit, die nur ein Geheimdienstveteran demonstrieren kann. Danach nannte er Olga die Vornamen der anderen, ohne jedoch auf ihre gegenwärtige Stellung oder beruflichen Erfolge einzugehen. Aus Gabriels Sicht waren diese sechs Menschen unbeschriebene Blätter; sie waren Werkzeuge, die ihm eine höhere Macht zur Verfügung gestellt hatte.
Die sechs näherten sich paarweise und schüttelten Olga pflichtbewusst die Hand. Die Frauen – Rimona und Dina – machten den Anfang. Rimona war Mitte dreißig und hatte schulterlanges Haar, dessen Farbe an Jerusalemer Kalkstein erinnerte. Als Armeemajor war sie jahrelang Analystin beim Militärnachrichtendienst AMAN gewesen, bevor sie zum Dienst gestoßen war, wo sie jetzt der Sondergruppe Iran angehörte. Dina, zierlich und schwarzhaarig, war die Terrorspezialistin des Diensts, weil sie die Schrecken eines Terroranschlags am eigenen Leib erfahren hatte. Im Oktober 1994 hatte sie in Tel Aviv auf dem Dizengoff-Platz gestanden, als sich ein Hamas-Terrorist im Bus Nummer 5 in die Luft gesprengt hatte. Bei diesem Anschlag hatte es einundzwanzig Tote gegeben, darunter auch Dinas Mutter und zwei ihrer Schwestern. Dina selbst hatte eine Beinverletzung erlitten und hinkte noch immer leicht.
Als Nächstes kamen zwei Männer Anfang vierzig: Jaakov und Jossi. Beide groß und mit beginnender Glatze. Jossi arbeitete gegenwärtig in der Russlandgruppe der Forschungsabteilung, wie der Dienst seine Analyse-Abteilung nannte. Er hatte in Oxford am All-Souls-College Philologie studiert und sprach mit deutlichem britischen Akzent. Jaakov, ein stämmiger Mann mit pockennarbigem Gesicht, erweckte den Einruck, als mache er sich nichts aus Büchern und Gelehrsamkeit. Er hatte viele Jahre in der Abteilung Arabische Angelegenheiten des israelischen Sicherheitsdiensts Schabak gearbeitet und im Westjordanland und im Gazastreifen Spione und Informanten angeworben. Wie Rimona war er vor Kurzem zum Dienst gestoßen und führte gegenwärtig Agenten im Libanon.
Zuletzt folgte ein merkwürdig schlecht zusammenpassendes Paar, das nur eines gemeinsam hatte: Beide Männer sprachen fließend Russisch. Der erste war Elin Lavon, eine zierliche Gestalt mit schütterem grauem Haar und klugen braunen Augen. Lavon galt allgemein als der beste Überwachungskünstler, den der Dienst je hervorgebracht hatte. Er hatte bei zahllosen Unternehmen eng mit Gabriel zusammengearbeitet, der ihn gewissermaßen als seinen älteren Bruder betrachtete. Wie Gabriel hatte Lavon nur noch lockere Verbindungen zum Dienst. Als Professor für Biblische Archäologie an der Hebräischen Universität in Jerusalem war er meistens an Grabungsstätten anzutreffen, wo er Artefakte aus Israels Vergangenheit ausgrub. Lavon hielt zwei Mal im Jahr an der Akademie einen Vortrag über Überwachungstechniken und wurde von Gabriel, der sich im Einsatz nur sicher fühlte, wenn der legendäre Eli Lavon ihm den Rücken freihielt, ständig aufs Neue aus dem Ruhestand geholt.
Der neben Lavon stehende Mann hatte gletscherblaue Augen und ein fein geschnittenes, blutleeres Gesicht. Michail Abramow, der in Moskau geborene Sohn eines jüdischen Wissenschaftler- und Dissidentenpaars, war unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion als Teenager nach Israel gekommen. Der junge Mann, den Schamron einmal als »Gabriel ohne Gewissen« geschildert hatte, war vom Sajeret Matkal, wo er mehrere Topterroristen von Hamas und Islamischem Dschihad liquidiert hatte, zum Dienst gekommen. Er war jedoch nicht nur ein Revolvermann: Im vergangenen Sommer hatte
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