Der Olivenhain
Besuchs fragte er sie, ob sie einen Ausritt mit ihm machen wollte. Ihr Vater hielt ein paar Pferde für den Fall, dass die Straßen zu schlammig zum Autofahren waren, und so sattelten sie zwei alte Stuten und ritten zum Fluss hinunter. Unterwegs unterhielten sie sich ein wenig, hauptsächlich darüber, wie anders der Boden in West-Texas war, und er versuchte, ihr ein paar Worte Spanisch beizubringen. Am Fluss hielten sie ihre Pferde an. Er sah sie nicht an, als er sprach.
»Was hat dir Mims erzählt?«
»Dass sie nicht Annas Mutter ist.«
»Da irrt sie sich. Mims war in jeder Beziehung eine Mutter für Anna.«
Elizabeth stolperte über ihre eigenen Worte. »Ich meine, sie hat gesagt, dass Grandpa meine Mutter ihrer leiblichen Mutter gestohlen hat.«
Wealthy seufzte. »Ich bin mir nicht sicher, ob er sie gestohlen hat, aber was er getan hat, war falsch. Er hätte die Wäscherin mitnehmen sollen, hätte auch ihr eine Schiffspassage nach Amerika zahlen sollen.«
»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte Elizabeth. Das Wasser war schlammig. Damals war es immer schlammig, da es weder Dämme noch Reservoirs gab, die den Schlick vom Mount Shasta zurückhielten.
»Vergiss es. Zu wissen, dass Mims nicht deine Großmutter ist, ändert nichts.«
»Weiß Mum es?«
»Sie weiß es, und sie weiß es nicht.« Wealthy stieg vom Pferd und führte es zum Fluss, um es zu tränken.
Es dauerte Jahre, bis Elizabeth verstand, was ihr Onkel ihr damit sagen wollte. Wealthy machte seinem Namen niemals Ehre, doch jedes Mal, wenn ihm ein Coup gelang – und bevor er das Geld in der nächsten Spekulation verpulverte –, kaufte er ein paar Morgen Land rund um den Familienhain in Kidron dazu, sodass zu dem Zeitpunkt, als Elizabeth heiratete und ihre Brüder auszogen, um ihr Glück zu suchen, genug Land da war, um alle abzusichern.
Wealthy starb 1943 beim Goldschürfen in den Kiwalik Flats. Zwei von Elizabeths Brüdern sowie an die zwanzig Neffen und Cousins waren nach Alaska gezogen, um in der Mine, an der Wealthy das Schürfrecht besaß, mitzuarbeiten. Einen Monat nach seinem Tod erhielt Elizabeth per Post ein Goldnugget, das er in eine Halskette eingefasst hatte. Es wog fünf Unzen und sah aus wie ein hart gewordener Klumpen Haferbrei.
Elizabeths Handballen hatte aufgehört zu bluten, doch es steckte immer noch ein Stück von dem Splitter darin. Sie öffnete den Verschluss der Halskette, die sie nun schon fast ihr ganzes Leben lang um den Hals trug, und wog das Nugget in ihrer Hand. Wealthys Geschenk hatte keine Nachricht beigelegen, aber als sie den Klumpen damals in ihrer Hand hin und her gedreht hatte, war ihr klar geworden, dass er der Lohn für ihr Schweigen war.
2.
Der Bunyip
D a s Knirschen von Autoreifen auf dem Kiesweg riss Elizabeth aus ihren Gedanken. Sie sah den Genforscher mit seinen zerzausten schwarzen Haaren und dem runden Gesicht durch die Windschutzscheibe in ihre Richtung spähen. Ein Stück weiter entdeckte sie Callie, wie sie gerade aus dem Olivenhain trat und auf das Auto zulief. Die Klaviermusik war verstummt.
Panik befiel Elizabeth. Die vergangenen zwei Monate hatte sie es so gut es ging vermieden, darüber nachzudenken, was Doktor Hashmi herausfinden würde, wenn er ihr Blut und das ihrer Kinder analysierte, doch nun, da sie ihn sah, holte die Angst sie ein, und in ihr stieg ein beklemmendes Gefühl auf. Sie musste allein mit Doktor Hashmi sprechen, bevor er mit allen zusammentraf. Schnell lief sie die Treppe hinunter und gab ihm ein Zeichen anzuhalten.
Er ließ das Fenster herunter. »Sie können es wohl kaum erwarten«, sagte er freundlich.
»Nein. Wir müssen uns unterhalten, bevor Sie den anderen sagen, was Sie wissen. Können wir irgendwo hingehen? Oder einfach im Auto reden?« Elizabeth öffnete die Beifahrertür und stieg ein. In diesem Moment erreichte Callie den Wagen.
»Mum, was machst du?«, fragte sie.
»Der gute Doktor hat eine Akte im Motel vergessen, und ich kann etwas Abwechslung gut gebrauchen. Ich habe ihn gebeten, ihn begleiten zu dürfen.« Sie gab Doktor Hashmi ein Zeichen, zurückzusetzen, und winkte ihrer Tochter und ihrer Mutter zu, die inzwischen auf die Veranda gekommen war.
»Wir sind gleich wieder zurück«, sagte Doktor Hashmi und nickte Callie zu.
Sie sprachen kein Wort, bis er auf die Hauptstraße eingebogen war.
»Wohin?«, fragte er.
»Egal, irgendwohin. Etwa zwei Meilen von hier zweigt ein Weg zu einem Feld ab, den kaum jemand kennt. Ich gebe Ihnen Bescheid,
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