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Der Olivenhain

Der Olivenhain

Titel: Der Olivenhain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Courtney Miller Santo
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gab sie vor, eine Konferenz in Pittsburgh besuchen zu wollen, denn dort war sie mit Amrit verabredet, bei dem sie dann den Rest der Woche verbrachte. Im März besuchte sie ihren mittleren Sohn in Washington, entwickelte dort aber überraschenderweise eine Katzenallergie, weshalb sie in ein Hotel nach Alexandria ausquartiert wurde, wo Amrit schon auf sie wartete.
    Bevor sie Amrit kennenlernte, hatte Calliope nie verstanden, wie ihre Tochter den Ehemann mehr lieben konnte als ihr eigenes Kind. Doch nun erlebte sie selbst diese große Leidenschaft. Manchmal war ihr Begehren so übermächtig, dass ihr alles egal war. Zum Beispiel neulich im Hotelaufzug, als sie ihn küsste und sich an ihn presste, bis beide keine Luft mehr bekamen.
    In solchen Momenten war ihr nichts peinlich, und sie hatte noch nicht einmal Angst, entdeckt zu werden, sondern wollte ihn einfach auf der Stelle haben. Sie bedauerte, dass Deb nicht mehr da war, denn nun verstand sie viel besser, wie es mit Carl so weit hatte kommen können. Das hätte sie ihrer Tochter gerne gesagt.
    Mit den anderen wollte sie nicht darüber reden. Es war besser, sie behielt es für sich. Nancy war allerdings ein Problem, weil sie sie immer in die früheren Affären eingeweiht hatte. Doch Calliope hatte Angst, Nancy würde sich über ihre spät entflammte Leidenschaft lustig machen.
    Womöglich würde sie ihr sagen, dass Amrit genau wie dieser Bauunternehmer sei, mit dem sie vor einigen Jahren eine Affäre hatte und der versucht hatte, sie zum Verkauf ihres Geschäfts zu bewegen, weil sein Bruder ein Fastfood-Lokal daraus machen wollte. Deshalb erzählte sie Nancy nur das Allernötigste.
    Die Kassiererin setzte die Brille wieder ab. »Fernbeziehungen sind schwierig, sie halten meistens nicht lange.« Woher wollte Nancy das wissen? Calliope musste sich sehr wundern. Hatte sie vor Mr. Elvis Fernbeziehungen gehabt, von denen sie nichts wusste?
    »Wer spricht denn von einer Liebesbeziehung?«, erwiderte Calliope. »Es ist einfach eine kleine Abwechslung auf meine alten Tage.«
    Sie wurden von einer lärmenden Kleinfamilie unterbrochen, die eben das Geschäft betrat. Calliope lächelte Nancy zu und ging nach hinten ins Lager. »Roberto! Pedro!«, rief sie die beiden Jungs, die dort Regale auffüllten und Handlangerjobs erledigten.
    Sie unterbrachen die Arbeit und schlurften herbei. Calliope versuchte, sich auf Spanisch zu beschweren, wie schmutzig es überall war. Ihre Sprachkenntnisse waren jedoch bescheiden, und ihr Hirn rotierte wie im Leerlauf, während sie nach dem richtigen Wort suchte. Sucio . Schmutzig.
    Sie deutete auf den Staub in den halb leeren Regalen und die Flecken auf dem Boden. Dann lehnte sie sich erschöpft gegen einen Balken. Die Wirkung der Tabletten, die sie zum Frühstück genommen hatte, ließ schon wieder nach, die Schmerzen wurden stärker. Mit einem Seitenblick auf seinen jüngeren Bruder räusperte sich der ältere.
    »Wir können auch Englisch miteinander reden, falls Ihnen das leichter fällt.« Sein Bruder nickte beflissen.
    »Und eigentlich wär’s uns lieber, Sie würden uns Pete und Robert nennen. Meine Kumpels sagen Petey zu mir, aber das gefällt mir nicht.«
    Lachend knuffte ihn sein Bruder in die Rippen. »Sie dürfen auch Petey zu ihm sagen.«
    Die Muskeln im Oberschenkel schmerzten allein von der Anstrengung, sich aufrecht zu halten. Dass sie nach all den Jahren immer noch Schmerzen hatte, verstanden die meisten Menschen nicht. Sie dachten, Wunden vernarbten, und alles war heilbar, dann mussten doch auch Schmerzen im Bein irgendwann nachlassen.
    Nach dem Flugzeugabsturz damals hatte sich ein Teil des Beins entzündet. Die Ärzte entnahmen immer mehr abgestorbenes Gewebe des Unterschenkels in der Hoffnung, den Infektionsherd endlich zu beseitigen. Doch stets folgten neue Entzündungen, und irgendwann gaben die Ärzte es auf. Seitdem fehlte ein faustgroßes Stück ihrer Wade, doch die Schmerzen waren geblieben.
    »Wir können auch weiterhin Spanisch reden«, sagte Robert mit sorgenvoller Miene. Calliope hatte ihr Gesicht vor Schmerz verzogen.
    »Das wusste ich nicht«, sagte sie und versuchte, sich zu erinnern, was ihr Lagerverwalter damals gesagt hatte. »Als Juan euch einstellte …«
    »Mit dem reden Sie am besten nur Spanisch. Sein Englisch ist unterirdisch«, platzte Robert heraus.
    »Und seine Vorstellung von Sauberkeit auch«, entgegnete Calliope und ließ Petey einen Eimer mit Seifenlauge holen, während sie seinem Bruder die

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