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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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zu einer anderen Luftschicht, die sie in die entgegengesetzte Richtung davontrug. Gruppen von Kugeln, die durch dünne Streben miteinander verbunden waren, rasten vorbei, manche schienen das Schiff rammen zu wollen, drehten aber im letzten Moment ab. Von den Seitenwänden wuchsen kästen- und knollenförmige Strukturen mit langen Fasern und bleichen Ausstülpungen in die Zentralhöhlung hinein, manche dieser Ausstülpungen hatten einen dunklen Kern, der sich zu bewegen schien, aber das war schwer auszumachen. Wenn sie mit der Passage englouti an den langen, filigranen Streben und Stützen vorbeifuhren, die alle mit glitzernden, flimmernden Lichtern bestäubt waren wie mit einem leuchtenden Puder, strahlten die Stützen Lichtsäulen ab, die entweder von den Wänden der Echo oder von der Passage englouti abprallten wie Geschosse. Passierten sie mehrere dieser Stützen hintereinander, dann tanzten die Säulen aus verschiedenfarbigem Licht wie ein Ballett. Latil vermutete dahinter ein lichtgestütztes Informationssystem.
    »Warum macht ihr das alles? Schiffe mit Meeren im Innern? Warum?« Gegen ihren Willen fühlte sie sich im Gespräch mit Haku wieder so wohl wie zur Zeit ihrer Gefangenschaft auf Pasiphae.
    »Du verstehst es nicht, wie auch. Es ist… Treue. Nein, hör mir zu. Die Echo ist der Lehrnachfolger der Santissima Trinidad. Das heißt, sie hat von der ST die Verpflichtung übernommen, die Erinnerung an den Heimatplaneten wach zu halten. Man streitet sich darüber, warum wir das tun. Ich glaube, dass wir damit unsere Schuldgefühle beschwichtigen. Ein religiöses Opfer. Wie die Wallfahrt. Die Schiffe erinnern uns an den Heimatplaneten und wir fühlen uns weniger schuldig für den Opal, unsere leicht perverse Leidenschaft.«
    Latil drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Du redest Unsinn«, sagte sie.
    »Der Lehrnachfolger der Echo wird die Thyrrenoi sein. Sie interpretiert die Lehre ganz anders als die Echo. Sie baut sich selbst nach und nach ab und verwandelt sich in ein gigantisches Schiff aus Daten, das unsichtbar durch die Netze des Opals reist. In zwei- bis dreihundert Jahren…«
    Gesang. Durch die hohle Gabelzinke hallte der metallischelektrische Walgesang und brachte die Passage englouti zum Schwingen. Latil bildete sich ein, sie könne die langen Wellen durch ihre Fußsohlen spüren.
    »Was singt sie?«, schrie Latil.
    »Sie entschuldigt sich dafür, euch eingefangen zu haben. Sie heißt euch an Bord willkommen.«
    Von der Decke der Gabelzinke fiel Staub herab. So sah es jedenfalls aus der Entfernung aus. Der Staub glitzerte. Als sie näher kamen, erkannte Latil, dass es nicht wirklich Staub war, der da aus dem Gewölbe herunterregnete, sondern größere Objekte, deren Form und Beschaffenheit nicht zu erkennen waren.
    »Manche sagen auch, dass die Erde eine große Künstlerin war.«
    »Eure Bürger«, sagte Latil und deutete auf den Staub.
    »Noch keine Bürger«, antwortete Haku. »Das sind unreife Schiffssymbionten, die zum Fressen in die Talsohle sinken. Mit den Abendwinden steigen sie wieder auf und treiben in den oberen Luftschichten ihre Spiele. Wenn wir einen einfangen würden, würdest du sehen, wie leicht sie sind. Wie aus Papier.« Er machte eine kurze Pause. »Bis zu einem gewissen Alter gelten sie bei uns als Delikatesse.«
    Latil schloss kurz die Augen. »Und danach?«, fragte sie.
    »Als Bürger«, antwortete er. »Wenn die Nervenaktivität einsetzt. Manche haben auch ein Herz. Sie müssen unter Kontrolle gehalten werden, sonst werden es zu viele. Bei den Zuchtschiffen machen die Symbionten bis zu einem Zehntel der Gesamtmasse aus.«
    »Und die Echo ist kein Zuchtschiff.«
    »Das sind die Lehrenden nie.«
    Die erste Welle hungriger Symbionten schien nur der Vorreiter für alle anderen gewesen zu sein. Es waren Milliarden. Wie Schnee aus zu großen Flocken. Die zukünftigen Bürger polarisierten die farbigen Lichtbündel, die durch sie hindurchstachen, und zerlegten sie in ihre Spektren, die Passage englouti flog in einem Feuerwerk tanzender Regenbogen. Eytarri begann unruhig von einem Bein auf das andere zu tänzeln, immer hin und her. Er atmete schwer und stieß immer wieder ein gekeuchtes »Schön« hervor, »Schön!« Latil dachte eine Weile daran, ihn niederzuschlagen, ließ es dann aber bleiben, um nicht immer automatisch ihrem Ruf als Barbarin gerecht zu werden. Sie suchte eine Ecke in ihrem Bewusstsein, von der aus sie das Geschehen mit Distanz beobachten konnte, und fand keine.

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