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Der Opal

Der Opal

Titel: Der Opal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Hammerschmitt
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darin, dass jeweils eine Person hohen Ranges aus der Opalhierarchie ein sexuelles Anrecht auf den Kapitän oder die Kapitänin des Schiffes hatte, das als Erstes zur Wallfahrt aufgebrochen war. Die Passage englouti hatte in diesem Jahr den Anfang gemacht, also war Latil an der Reihe. Es war eine Ehre. Niemand aus dem Opal wäre eingefallen, dagegen zu protestieren. Kea ging gerade auf die Frau zu, die in diesem Jahr das Erste Recht innehatte. Um ihren Kopf nicht wie ein Kind in den Nacken legen zu müssen, beschloss Latil, einige Schritte zurückzutreten.
    Kea und die Fremde sprachen miteinander. Sie küssten sich. Man sah ihre Zungen. Anscheinend hätte die Fremde auf das Erste Recht verzichten können, aber Kea hatte Latil gerade eben erklärt, dass Nidihann schon sehr gespannt auf sie war. Nidihann war eine Meisterschülerin Elines, aber das schien der Freundschaft zwischen ihr und Kea keinen Abbruch zu tun. Latil war eigenartig erregt. Sie wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie fühlte nicht ganz den Abscheu, den sie hätte fühlen sollen, und ärgerte sich darüber. Zu allem Überfluss hatte sich die Passage englouti den Scherz erlaubt, ein Mondo für sich selbst zu basteln, das wie Eytarri aussah. Der einzige erkennbare Unterschied zwischen den beiden bestand darin, dass der Anzug des Mondos nicht beschädigt war. Aber das dumme Grinsen war bei Original und Doppelgänger vollkommen identisch. Latil brauchte das Schiff. Es war ihr Anker.
    Wenn es solche Scherze trieb, fühlte sie sich völlig allein. Das Mondo war zwei Schritte von ihr entfernt. Haku stand mit Domale Make und Tendrak etwas weiter weg, sie unterhielten sich über die Echo. Der echte Eytarri schlenderte zwischen den Gästen dieser auserlesenen Gesellschaft umher, dümmlich grinsend. Kea und Nidihann lösten sich voneinander. Nidihann sah zu Latil herunter, streckte ihre Arme aus und durchbrach in einem einzigen eleganten Schwung die Trennlinie zwischen den beiden Schwerkraftzonen im Raum, wobei die flimmernde, luftige Haut ein eigenartig seufzendes Geräusch von sich gab. Sie kam ohne Probleme zum Stehen, direkt vor Latil.
    »Trink das«, sagte sie zu Latil und gab ihr ein Glas, das sie von oben mitgebracht hatte. Die ölige Flüssigkeit schaukelte leicht in dem Kelch.
    »Warum?«, fragte Latil.
    »Es macht munter«, antwortete Nidihann.
    Sie steckte in einem Anzug, dessen gesamte Oberfläche von fingerdicken blauen und roten Adern überzogen war, wie von der Karikatur eines Blutkreislaufs. Es sah aus, als habe man die Haut eines Menschen abgezogen und mit den intakten Blutgefäßen nach außen gestülpt. An Hals und Handgelenken gingen die Adern unauffällig in ihre wirkliche Haut über, gerade so, als werde dieser zweite, künstliche Kreislauf von ihrem ersten gespeist. Ihr Gesicht war wunderschön.
    »Trink schon«, sagte Nidihann.
    Latil gehorchte. Das Getränk war warm, sie hatte noch nie etwas Ähnliches geschmeckt. Es lief ihre Speiseröhre hinab wie verdünnter Honig.
    »Ich will dir etwas zeigen«, sagte Nidihann und ergriff Latils Hand.
     
    Der Saal war im Vergleich zu den sonstigen Dimensionen der Echo sehr bescheiden, irritierte aber durch das tiefe Blau, in dem er gehalten war. Wenn man von den strahlenden Sarkophagen am Boden absah, gab es hier überhaupt nicht viel Licht. Die länglichen erleuchteten Formen strahlten in verschiedenen Farben, am auffallendsten die größte von ihnen, sie glühte in einem dumpfen Rot. Von der Plattform herab war die wirkliche Größe schwer zu schätzen. Wenn man genau hinsah, konnte man Lichtkerne in den Sarkophagen ausmachen, die sich zu bewegen schienen, im größten der Behälter allerdings nicht.
    Eytarri tänzelte wieder seinen Tanz und sang: »Schiffe! Schiffe!«
    Das Mondo der Passage englouti tat es ihm nach, die beiden tanzten nebeneinander auf der Plattform wie schwachsinnige Zwillinge. Der Zamna hatte noch nie versucht, zu dem Mondo Kontakt aufzunehmen, er behandelte es wie Luft. Vielleicht sah er es gar nicht.
    Nidihann stand neben Latil und hielt sanft ihre Hand. Dieses kindliche Verhalten stand in einem derart krassen Gegensatz zu ihrer bodenlosen Perversität, dass Latil hätte schreien können. Sie tat es aber nicht. Sie fühlte sich in Nidihanns Nähe nicht mehr so unwohl, wenn man auch nicht gerade sagen konnte, dass sie es mochte, von ihr angefasst zu werden. Vielleicht war es das Getränk. Wenn ja, dann musste es eine sehr sanfte Droge sein, die ihr verabreicht

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