Der Orksammler
Lüsternheit! Ein Scheißsprichwort, nicht wahr? Aber so lautet es nun mal, ich kann auch nichts daran ändern, also schau mich nicht so an.«
Schwester Ishvu zog entgeistert die Augenbrauen hoch. »Das ist nicht Ihr Ernst, oder?«, stieß sie hervor. »Sie wollen doch nicht etwa, dass ich Lith und Ihren Kollegen miteinander verkupple?«
»Na ja, so hätte ich mich jetzt nicht unbedingt ausgedrückt. Aber ich würde lügen, wenn ich behauptete, du hättest den Nagel nicht volle Kanne getroffen.«
Schwester Ishvu schüttelte den Kopf. »Unglaublich. Herr Jorge, ich muss mich schwer über Sie wundem. Sie sind doch ein Beamter des IAIT!«
»Ich weiß, und es tut mir leid. Dass ich Beamter bin, meine ich. Der Rest tut mir überhaupt nicht leid. Es gibt da ein altes Trollsprichwort, und das geht so: Ich bin, wie ich bin, wie ich bin, wie ich bin.«
»Selbst wenn ich auf den abwegigen Gedanken kommen sollte, den reizenden, im Gegensatz zu seinem tumben Kollegen mit vorzüglichen Manieren gesegneten Herrn Hippolit mit Lith zu verkuppeln, um bei diesem Ausdruck zu bleiben, so wäre es doch ein von vornherein sinnloses Unterfangen!«
Jorge, der dabei gewesen war, sich in sein Unterhemd zu zwängen, sah auf. »Wieso dieses?«
»Ich wüsste zwar nicht, was Sie das angeht, aber Lith befindet sich noch in Trauer. Und ich verrate Ihnen das nur, damit Sie ungehobelter Klotz nicht auch bei ihr von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern, wie das Ihre Art zu sein scheint.«
»In Trauer? Was meinst du damit, in Trauer?«
Schwester Ishvu seufzte. »Wegen Flarian, ihrem Verlobten. Er war die Liebe ihres Lebens. Die beiden waren Seelenpartner, eins im Körper wie im Geiste … aber das können Sie sicher nicht verstehen, Herr Jorge!«
»Was du nicht sagst, Ishvulein. Wir Trolle haben da ein Sprichwort, und es geht so: Körperliche Vereinigung ist was Großartiges!«
»Pfffth. Genau das habe ich gemeint!« Mit gerümpfter Nase machte Schwester Ishvu Anstalten, den Raum zu verlassen.
»Immer mit der Ruhe, Mädchen«, rief Jorge und schlüpfte in seine lederne Jacke. »Nun verrat mir halt, was es mit ihrem Süßen, diesem Flarian, auf sich hatte.«
Ishvu zögerte. »Er … er kam ums Leben, vor gut sechs Zeniten. Nur einen Tag bevor die beiden sich trauen lassen wollten! Ein Unfall am Verladebahnhof, eine Unachtsamkeit eines Vulwoogfahrers, der betrunken zur Schicht erschienen war …« Ihr Blick trübte sich, schweifte in eine Feme, in die Jorge ihr nicht folgen konnte. »Die beiden waren füreinander bestimmt«, erklärte sie leise. »Sie passten zueinander wie Topf und Deckel. Sogar körperlich war es nicht zu übersehen – beide waren von geradezu elbischer Schönheit, schlank und grazil in jeder noch so kleinen Bewegung! Und das lange goldblonde Haar, mit dem Lorgon Lith wie Flarian gesegnet hatte … man hätte sie für Geschwister halten können, wenn man es nicht besser wusste.«
»Bei Batardos! So ne Schwester hätte ich auch gern«, murmelte Jorge leise. Etwas lauter sagte er: »Und weiter?«
»Es war zu tragisch! Mit Flarians Tod verlor die arme Lith jeglichen Lebenswillen, sie verließ für Monate kaum noch das Haus. Meister Wylfgung musste für sein Büro eine Aushilfe einstellen, und Meister Kotkopp attestierte ihr eine mittelschwere Depression. Man sah sie so gut wie gar nicht mehr. Erst seit einem oder zwei Zeniten scheint sie sich ein wenig gefangen zu haben. Mittlerweile arbeitet sie wieder, und kürzlich habe ich sie sogar einmal lachen sehen.« Das Gesicht der Schwester verhärtete sich, sie fixierte Jorge mit entschiedenem Blick. »Verstehen Sie jetzt, warum der Umgang mit Lith ein gerüttelt Maß an Sensibilität erfordert, Herr Jorge? Wissen Sie überhaupt, was das ist?«
»Sensibilität?« Jorge schloss den letzten Knopf seiner Joppe, reckte sich und rülpste markerschütternd. »Schon. Das ist nämlich mein zweiter Vorname, weißt du? Jorge ›Sensibilität‹ der Erwischer. Und ein altes Trollsprichwort belehrt uns darüber hinaus: Ein unsensibler Troll, das gibt es gar nicht, bei Batardos!« Er lachte. Schwester Ishvu lachte nicht. Sie drehte sich um und verließ kopfschüttelnd das Krankenzimmer.
30
Zum schätzungsweise zehnten Mal, seit er sich auf den Weg in das karge Arbeiterviertel gemacht hatte, warf Hippolit einen skeptischen Blick auf das Pergamentstück in seiner Hand. Er war sich nicht sicher, ob er das Richtige tat, schließlich gab es etliche Dinge zu organisieren, bevor er
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