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Der Orksammler

Der Orksammler

Titel: Der Orksammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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ihm ab und schwebte durch die Tür. Hippolit erhaschte einen kurzen Blick auf zwei wohlproportionierte Hinterbacken, die sich unter dem dünnen Stoff abzeichneten. Er riss seinen Blick los und trat ebenfalls über die Schwelle.
    Im Innern der Wohnung schien sich seit seinem letzten Besuch nichts verändert zu haben. Überall brannten Kerzen, und jenseits des Dachfensters war der schmutzig-braune Abendhimmel Torrlems zu erkennen.
    Als sich Hippolit wieder dem Mädchen zuwenden wollte, stand Lith plötzlich unmittelbar vor ihm, zwei mit gelblicher Flüssigkeit gefüllte Kelchgläser in Händen.
    »Honigwein aus Enopacla«, verriet sie und fügte augenzwinkernd hinzu: »Aus Meister Wylfgungs privatem Fundus.«
    »Ich … eigentlich ist es so, dass ich … ach, zum Henker!« Achselzuckend nahm Hippolit das angebotene Glas entgegen.
    Sie stießen an, tranken. Die riesigen Augen des Mädchens waren starr auf ihn gerichtet.
    »Meine liebe Lith«, hob Hippolit an und vergrößerte vorsichtshalber den Abstand zwischen ihr und sich um einige Schritte. Das Glas mit dem starken Likörwein stellte er unauffällig auf dem Tisch ab. »Mir will scheinen, Sie haben es faustdick hinter den Ohren!«
    Sie hob scheinheilig die Brauen, eine bezaubernde Geste gespielter Unschuld, und nippte erneut an ihrem Wein.
    »Ihren Vorgesetzten zu bestehlen dürfte wohl kaum Bestandteil Ihres Arbeitsvertrages sein, oder? Ebenso wenig der permanente Wortwurf ins Vorzimmer.« Hippolit beobachtete das Mädchen eingehend, während er sprach. Doch welche Reaktion er auch erwartet hatte, sie kam nicht.
    »Der alte Ziegenbart hat mehr als genug zu saufen«, bemerkte Lith respektlos und stellte ihr Glas ebenfalls zur Seite. »Und den kleinen Lauscher habe ich nur deshalb auf seinem Schreibtisch platziert, weil ich mir Sorgen um Sie gemacht habe. Das ist alles.«
    Langsam kam sie wieder auf Hippolit zu, der angestrengt versuchte, seinen Blick nicht von den verlockenden Einblicken ablenken zu lassen, die das Schleiergewand eine Etage unterhalb ihres Gesichts bot.
    »Ich musste es tun. Sie sind in Gefahr!«
    »Etwas Ähnliches stand in Ihrer Notiz«, versetzte Hippolit. Er verspürte den Drang, erneut zurückzuweichen, ignorierte ihn jedoch. »›Es geht um Leben und Tod‹ – was hat es mit dieser kryptischen Äußerung auf sich?«
    »Ich habe geträumt«, wiederholte Lith und blieb dicht vor ihm stehen. »Ich träume oft, wissen Sie? Und mit meinen Träumen ist es ähnlich wie mit meinen thaumaturgischen Spielereien: Was ich träume, geschieht.«
    »Sie sind also nicht nur versiert, sondern auch hellsichtig. Schön und gut.« Soweit Hippolit wusste, war diese Kombination besonderer Fähigkeiten nicht selten. Versierte verfügten wesentlich öfter als thaumaturgisch Unbegabte über die Gabe, einschneidende Ereignisse in der Zukunft vorauszuahnen, sei es in ihren Träumen, in Form von Visionen im Wachzustand oder indem sie Stimmen aus dem Nichts hörten, die ihnen etwas einflüsterten.
    »Sie haben also geträumt. Von mir?«
    Lith nickte erregt. »Es war stockdunkel, ein Ort, auf dem ein immenses Gewicht lastete. Eine Höhle unter der Erde möglicherweise. Sie rannten durch undurchdringliche Finsternis, atemlos, gehetzt. Und in der Schwärze lauerte etwas – etwas, das Sie beobachtete! Ich konnte es nicht erkennen, nur seine Präsenz in den Schatten spüren.« Der Atem des Mädchens ging heftiger, während sie die Erinnerung an das nächtliche Erlebnis vor ihr geistiges Auge zurückholte. »Sie ereichten einen gewaltigen Raum. Ich spürte den Tod Abertausender Menschen in der Luft, unzählige Seelen, auf ewig in den dunklen, stillen Mauern gefangen.« Sie stöhnte auf. »Und Knochen! Überall waren Knochen!«
    Interessant, dachte Hippolit. Sie hat von der Gebeinkaverne geträumt. Er ignorierte Liths tastende Hände, von denen eine seinen rechten Oberarm ergriff, und hörte weiter zu.
    »Und dann … kam etwas zwischen den Knochen hervor! Etwas Riesiges, Unmenschliches. Schattengleich näherte es sich durch die Finsternis, seine Klauen griffen nach Ihrem Kopf und … oh, Meister H., es war so grauenhaft I« In einer schlangengleichen Bewegung warf sie sich von Neuem an Hippolits Hals. »Während Sie mit der Kreatur rangen, konnte ich Ihren Lebensfunken erkennen, eine zitternde grellblaue Flamme, die über Ihrem Kopf zu schweben schien. Dann gewann das Unwesen die Oberhand. Seine Pranken schlossen sich um Ihre Kehle, und die Flamme -sie erloscht Ich erwachte

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