Der Pakt - Rügen Thriller
Polizeifahrzeug um die Ecke bog. Aber es fuhr nicht zielgerichtet, nicht, weil sie entdeckt worden war. Im Menschenmeer war sie praktisch unsichtbar. Jetzt nur nicht auffallen. Nur nicht stehenbleiben. Sie nahm ihr Smartphone ans Ohr und tat so, als würde sie ein Gespräch führen. In einer Passantin mit einer Einkaufstüte in der einen Hand und einem Telefon in der anderen, ganz normal gekleidet und lässig den Gehweg entlangschlendernd, würde niemand die Polizistenmörderin von Stadtkoppel vermuten. Juli sprach in ihr Telefon, während sie zu der Schülertraube aufschloss, so, als wolle sie überholen. Die Jungen mochten sechzehn, siebzehn sein, vielleicht elfte, zwölfte Klasse.
»Tschuldigung«, sagte sie zu einem, der jetzt direkt neben ihr lief. »Ich will zum Hauptbahnhof. Weißt du, wo ich da lang muss?«
Der Junge deutete nach vorn. »Immer geradeaus. Wir gehen auch in die Richtung.«
Juli lächelte. Sie hatte auf diese Antwort gehofft. Denn so konnte sie mit ihnen ein Stück zusammen laufen.
»Wie weit ist es denn bis dahin?«, fragte sie. Es war der Auftakt zu einem lockeren Gespräch, das Juli zu einem natürlichen Bestandteil der Gruppe machte. Kein Polizist würde ihr einen zweiten Blick schenken.
Die Schule befand sich ein Stück vor dem Hauptbahnhof, und Juli dankte den Jungs, als sie sich von ihnen verabschiedete. An der nächsten Querstraße sah sie einen Abfallkorb, in dem sie die Tüte mit dem roten Anorak und den Schuhen verschwinden ließ. Dann ging sie weiter zum Tribseer Damm, hütete sich aber, die Bahnhofshalle zu betreten. Denn die war klein und allzu gut zu überschauen. Außer einem Fahrkartenverkauf, einem Zeitungs kiosk und einem Bäcker gab es kaum Läden. Das Risiko, hier jeman dem, der gerade nichts zu tun hatte, ins Auge zu fallen, wollte sie nicht eingehen. Deshalb lief Juli an dem düsteren Backsteingebäude vorbei, weiter in Richtung Bahnhofstraße. Sie holte ihr Smartphone aus der Tasche, diesmal allerdings, um wirklich zu telefonieren. Die Nummer hatte sie im Kopf.
»Simon? Hier ist Juli. Ich brauche deine Hilfe!«
49
»Wir suchen nach einer Frau mit einer Glatze!« Manja tastete vorsichtig ihren Hals ab. Er tat höllisch weh, und das Schlucken bereitete ihr ziemliche Mühe. Ihr Auge war fast zugeschwollen und pochte wie wild. »Mal zeigt sie sich mit blonder«, Manja zeigte auf eine Plastiktüte auf dem Tisch, in der sich das bis dahin wichtigs te Beweismittel der Ermittler befand, »und mal mit schwarzer Perücke.« Jetzt hielt Manja eines der Tiefgaragenfotos in die Höhe. »Aber nicht, um ihre echten Haare zu verbergen. Sondern ihren kahlen Kopf, weil sie damit überall sofort auffallen würde.«
»Ich bin ihr am Samstag im Hotel begegnet. Im Spa«, fuhr Manja fort. Sie beugte sich über den Schreibtisch und überflog mit ihrem unversehrten rechten Auge einen Computerausdruck. »Hier! Nora Rottmann hat ausgesagt, dass auch am Sonntag eine blonde Frau im Dampfbad war, kurz vor dem Mord. Ich wette tausend zu eins, dass das unsere geheimnisvolle Unbekannte war. Und am Abend zuvor hat diese Frau in der Bar das Gespräch mit Nora und ihrer Schwester gesucht. Das kann kein Zufall sein.«
»Das sehe ich auch so«, sagte Mast. »Aber die Frage nach dem Warum ist weiter offen. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass es sich um dieselbe Frau handelt, die von den Kameras in der Tiefgarage erfasst worden ist, stellt sich die Frage: Wer ist diese Unbekannte und weshalb tötet sie einen russischen Richter, einen Lotto-Millionär und die Frau eines Bundestagsabgeordneten?«
»Und was macht sie, als Pizzabotin verkleidet, bei DRM?«, fügte Manja hinzu.
»Meine Vermutung ist«, ließ sich Schilling vernehmen, »dass sie für all das bezahlt wird. Wir sind ja von Anfang an davon ausgegangen, dass wir es hier mit einem Profi zu tun haben. Darauf deutet zum einen die Ausführung der drei Morde hin. Die Art, wie das Schloss an Kirijenkos Tür präpariert war. Die Geduld, mit der die Täterin gewartet hat, während sich Kirijenko im Schlafzimmer mit dieser Sunny vergnügte. Die Kaltblütigkeit, mit der sie im Spa den Mord an Kerstin Gruber verübte, ohne dass irgendjemand eine vernünftige Beschreibung der Frau liefern konnte.«
»Und zum anderen?«, fragte Manja.
»Wie bitte?«
»Sie sagten, für die Arbeit eines Profis spräche zum einen die Tatausführung. Und was noch?«
Schilling fuhr sich durch die Haare. »Das BKA vermutet seit einiger Zeit, dass es in dieser Branche
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