Der Pakt - Rügen Thriller
und wurden unterwegs nicht ein einziges Mal angehalten. Aber Juli hatte auch nicht damit gerechnet. Die Strecke zum Ferienpark war für einen Flüchtigen und damit auch für die Polizei taktisch uninteressant. Sie ließ Simon einchecken, während sie selbst im Wagen wartete. Vorher hatte sie ihm in aller Eile die Geschichte eingepaukt, die er erzählen sollte.
Stellen Sie sich vor, die Ferienwohnung, die ich übers Internet gemietet hatte, gab es gar nicht. Wahrscheinlich ein Betrüger … Zum Glück ist bei Ihnen etwas frei … Nein, nicht allein. Für drei Personen. Meine Eltern reisen heute am Abend an …
Ja, Simon sah absolut aus wie ein Junge, der noch mit seinen Eltern in den Urlaub fuhr. Keiner würde an der Geschichte zweifeln.
Juli hatte Keding Village über ihr Smartphone ausfindig gemacht, während sie auf Simon wartete. Dem Lageplan zufolge bestand der Ferienpark aus zehn weitläufig verteilten Bungalows rund um den Teich und einem Verwaltungsgebäude mit Restaurant. Auf der Homepage gab es auch eine Belegungsübersicht, so dass es nicht nötig gewesen war, anzurufen und zu fragen, ob zurzeit vermietet würde und ob noch ein Haus frei sei. Anders als bei einem Hotelzimmer konnte Juli hier unbemerkt ihr neues Versteck beziehen, sobald Simon die Formalitäten erledigt hatte.
Zehn Minuten später ging die Fahrertür auf. Simon war zurück. »Wir haben Haus Nummer acht.«
»Nicht zu mir rübersehen«, zischte Juli, die sich wieder kleingemacht hatte, so dass ihr Kopf unter der Seitenscheibe war. »Fahr einfach los!«
»Entschuldigung.« Mit betrübtem Gesicht lenkte er den Wagen auf einem matschigen Schotterweg in Richtung ihrer Unterkunft.
»Stell das Auto so ab, dass sich meine Tür in Höhe des Eingangs befindet.«
Alles klappte reibungslos. Simon hielt, schloss auf und öffnete den Kofferraum, wie jemand, der Gepäck ausladen will. Derweil verschwand Juli unauffällig im Inneren des Bungalows. Sie schickte Simon noch einmal los, um irgendwo etwas zu essen und ein paar Flaschen Wasser zu kaufen. Als er fort war, streckte sie sich erschöpft auf dem Bett aus.
Die Aktion bei DRM musste sie als kompletten Fehlschlag ver buchen. Nicht nur, dass sie die Pistole nicht beschafft hatte, die Behörden wussten nun auch, dass die langen schwarzen Haare gestern im Windwood ein Täuschungsmanöver gewesen waren. Mindestens drei Zeugen konnten sie beschreiben, und wenn nur einer von ihnen ein guter Beobachter war, würde die Polizei ein Phantombild bekommen, das der Wirklichkeit wesentlich näher kam als die verwackelten Fotos aus der Tiefgarage.
Juli dachte über die nächsten Schritte nach. Sobald Simon zurück sein würde, musste sie ihn mit einem weiteren Auftrag betrauen. Der Peugeot stand noch immer auf dem Handwerkerring. Sie ging davon aus, dass das DRM-Gebäude weiter von der Polizei beobachtet wurde. Inzwischen waren bestimmt auch Journalisten vor Ort, Schaulustige, Kameras. Ja, es war definitiv besser, wenn Simon den Wagen holte.
Und dann? Sie musste an die Pistole kommen, irgendwie. Denn die Polizei würde keine fünf Minuten brauchen, um festzustellen, wem die Fingerabdrücke darauf gehörten. Als Personenschützerin hatte sie sich einer Sicherheitsprüfung durch das BKA unterziehen müssen, weil Asbeck Security gelegentlich auch bei der Bewachung von Politikern zum Einsatz kam. Seither be fanden sich ihre Abdrücke in den einschlägigen Datenbanken. Also zuerst die Pistole. Und anschließend musste sie so schnell wie möglich verschwinden.
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Das Bankhaus Dollinger befand sich in einem hübschen Giebelhaus mit Satteldach direkt am Alten Markt. Manja und Schilling wurden unverzüglich in die oberste Etage gebracht, die über einen hallenartigen Empfangsbereich mit edlem Parkett verfügte. Die lederbezogenen Türen und hübsch geschliffene Glasschilder mit Messingbuchstaben machten deutlich, dass hier die Führungsspitze des Hauses arbeitete.
Nora Rottmann sah die beiden Besucher unwillig an. Trauer und Schmerz waren in ihr Gesicht eingemeißelt wie eine Grabinschrift in eine Marmorplatte. Ihr Blick verweilte einen Moment auf Manjas geschwollenem Auge, aber sie sagte nichts. Stattdessen verschränkte sie die Arme und rollte in ihrem Bürostuhl ein kleines Stück vom Schreibtisch zurück. »Ich bin gestern von dieser Polizistin zwei Stunden lang befragt worden. Wieso glauben Sie, dass Sie heute noch etwas Neues von mir erfahren können?«
Manja setzte eine verständnisvolle Miene auf.
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