Der Paladin
die Straße am Wohnsitz der Lieng einbogen, war er bis zum Handgelenk taub, und sein Bein schmerzte. Unter den Lumpen waren sie in voller Montur, Taizu ohne den Verband, das Gesicht mit einer Kappe und einem schmutzigen braunen Halstuch verhüllt, das Schutz bot gegen die schneidende Kälte vom Fluß, Shoka mit einem dicken Halstuch und mehrlagigen zerschlissenen Kleidern – die ausgesprochen bequem gewesen wären, hätte er nicht darunter die schwere Rüstung getragen und den klapprigen Karren geschoben, der mit zwei Fässern beladen war, die es ihm unmöglich machten, die unebenen Stellen im voraus zu erkennen. Schweiß strömte ihm übers Gesicht. »Über die Straßen des Regenten läßt sich auch nicht viel Gutes sagen.«
»Es könnte auch regnen und matschig sein«, sagte Taizu munter – sie hatte sich den ganzen Weg über frei wie ein Vogel bewegt, und jetzt, wo die Straßen leer waren, ging es ihr erheblich besser. Dann und wann begegneten sie einer Streife, anderen Karren oder einem Betrunkenen; und vereinzelt auch Leuten, die in nächtlichen Geschäften unterwegs waren, überwiegend in Gruppen.
Diese Straße jedoch wurde auffällig stark bewacht, war auffällig menschenleer und von Laternen erhellt, ein langer, verlassener Weg bis zu der Gasse, die sie als Dienstboteneingang ausspioniert hatten.
An der Abbiegung waren Soldaten.
Nimm niemanden zur Kenntnis
, sagte Shoka.
Wenn du unsichtbar werden willst, ist das eine zweiseitige Angelegenheit. Unsichtbare Menschen sehen niemanden an, wenn jemand in der Nähe ist; dann werden sie auch nicht bemerkt.
Darum hielt er den Blick auf den Karren gesenkt und hüllte sich in einen stillen kleinen Nebel, genau so, wie er es Taizu erklärt hatte: Es
gibt eine Zeit, wo man alles sieht. Es gibt eine Zeit, wo man nichts sieht. Niemand wird uns ohne Vorwarnung angreifen. Wer würde zwei armen Güllemännern so etwas schon antun? Wir sind zu armselig und zu uninteressant, um von Soldaten angesprochen zu werden, erwarte so etwas nicht einmal, bis wir am Hintereingang angelangt sind.
Kein Anruf von den Wachposten an der Ecke. Er blickte an den Fässern vorbei und lenkte den Karren mit rumpelnden und rasselnden Rädern mitten durch die Gasse.
Bis zum Tor.
»Einen guten Abend, Herr«, sagte Shoka. Drei Wachposten, von denen einer näher trat, um sie zu inspizieren.
»Du bist neu«, sagte der Wachposten.
»Hat sich den Fuß angeschlagen«, sagte Shoka. »Er hat mich gebeten, seine Schicht mit zu übernehmen.«
Der Posten brummte etwas und öffnete das Tor. »Wartet hier. Das Zeug wird herausgebracht.«
Verdammt.
»Das macht uns nichts aus, Herr, wir können's holen.«
»Gegen die Bestimmungen.« Der eine Wachposten wandte ihm den Rücken zu. Und segelte an die Mauer. Der zweite und dritte näherten sich und zückten ihre Schwerter. Shoka wich einem aus, wirbelte vorbei und traf einen mit Knie und Ellbogen, der Mann klappte zusammen, und Shoka reichte ihn an Taizu weiter, während er abermals herumwirbelte und den dritten Mann auf den Karren warf.
Der erste Mann schrie. Shoka trat ihn, riß sein Schwert aus dem Bündel auf dem Karren, und Taizu packte ihren Bogen und Köcher.
In den Hintereingang hinein, so schnell sie laufen konnten, und eine Treppe zu einer Gartenterrasse hoch.
»Es tut mir leid!« flüsterte Taizu, hockte sich neben eine eingetopfte Pinie und legte einen Pfeil an.
»Verdammt, ich bin weich geworden. Bleib hier!«
Er rannte über die Terrasse, durch die Schattenäste und das Laternenlicht von dem darübergelegenen Balkon. Der Lärm und das Geschrei breiteten sich aus. Rufe hallten von den Mauern wider und verloren sich in der Richtung der Balkone.
Er kannte Ghita. Immer nur das Beste. In der Mitte des Hauses, im ersten oder zweiten Stock, in fürstlicher Ruhe und erlesener Pracht.
Ein schwerer Fehler, daß er die armen Kerle draußen am Tor nicht erstochen hatte. Damit hätten sie etwas Zeit gewonnen, nicht viel, aber etwas.
Eine Holztreppe hoch, während über ihnen Laternen aufflammten. Er duckte sich und hechtete von der Treppe in einen Wacholderbusch, als Wachen über den Weg zum Dienstboteneingang polterten.
Man brauchte nicht lange zu überlegen, um zu wissen, daß Ghita inzwischen wach war.
Ein Gutes hatten die Wachen jedoch: sie machten soviel Krach auf den Holzveranden, daß er seinen Lauf nicht zu zügeln brauchte. Er kletterte auf die Treppe, auf die Veranda und
Klirr!
durch eine zerbrechliche Fensterfüllung, geradewegs in die
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