Der Paladin
Sommersonne beschienenen Grashang kräuselten, und ein siebter Pfeil folgte.
Mitten ins Ziel, jeder einzelne.
Eine kleine Frau mit einem ungewöhnlich kräftigen Bogen, den sie unter seiner Anleitung selbst hergestellt hatte.
Shoka stützte sich auf den eigenen Bogen und beobachtete die Konzentration auf den achten Schuß, dann legte er rasch einen Pfeil auf die Kerbe und feuerte, von den Böen unterstützt, gerade in dem Moment, als sie im Begriff war, ihren neunten loszulassen.
Sie schoß trotzdem, und als die beiden Pfeile Seite an Seite einschlugen, schaute sie ihn belustigt an.
»Verdammt gut«, sagte er und stützte sich wieder auf seinen Bogen. »Du hast nicht geschwindelt.«
»Ich weiß, daß es an Euch liegt«, erwiderte sie.
»Gut. Woher weißt du das?«
Sie deutete über die Weide, dorthin, wo Jiro friedlich am Hang graste. »Er weiß es.«
Er lachte. »Einverstanden.«
»In Chiyaden werde ich allerdings niemanden an meine Flanke heranlassen.«
Das Gelächter erstarb. »Das solltest du auch nicht tun«, sagte er, nahm seinen Bogen und ging.
Hinter ihm blieb es still, weder das Geräusch des Bogenspannens noch Einschläge waren zu hören. Sie holt ihre Pfeile, dachte er. Er für seinen Teil ging weiter, hängte seine Ausrüstung an den Haken und holte ein paar Kürbisse fürs Abendessen.
Als der Junge mit neuem Reis und Wein und ein paar Krügen mit eingemachtem Obst wiederkam, verfärbten sich schon die Blätter. »Ich danke dir«, sagte Shoka und verneigte sich höflich, der Junge verneigte sich ebenfalls und nahm die Liste der Wünsche entgegen, die angesichts des drohenden Winters kurz war.
Ein wenig Stroh. Das Hüttendach hielt recht gut dicht. Eine zweite Portion Reis und Wein. Doch er hinterlegte für den Jungen einen hübschen Haufen Felle und etwas Rauchfleisch.
Und Taizu kam heraus und sah den Jungen den Berg hinuntergehen, während sie, die Arme auf die Knie gestützt, auf der Veranda hockte.
Sei nicht so ängstlich, dachte Shoka, der sie von hinten beobachtete, die kleine Gestalt mit dem Zopf zwischen den Schultern. Mehr aus Neugier als aus Sorge...
Womöglich wußte Taizu gar nichts von der Veränderung, die in ihr vorging. Er jedoch sah, wie sie langsam und unausweichlich vonstatten ging, so subtil wie die Veränderungen in ihrem Körper – die von Muskeln verbreiterten Schultern, die kräftigen und wohlgeformten Beine, so wie sie auch noch andere, weiblichere Konturen bekommen hatte.
Er hatte zahllose Kurtisanen gekannt, weichhäutige und blasse Frauen, die sicherlich nie einen unschönen breiten Rücken zur Schau gestellt oder eine solch unschickliche Haltung eingenommen hätten. Gewiß nicht Meiya. Aber, gütiger Himmel...
Den Winter über vertrieb er Taizu und sich die Zeit mit Geschichtenerzählen, mit erbaulichen Geschichten, die Meister Yenan ihm erzählt hatte; manchmal aber auch mit Berichten vom Hof und von Dingen, die er keiner Kurtisane und auch keinem Mann jemals erzählt hatte – von Duellen, die er ausgefochten hatte, und von Auseinandersetzungen mit den Verschwörern, die den alten Kaiser während der Zeit seines Niedergangs geplagt hatten. Er erzählte diese Geschichten jemandem, der außerhalb des Hofes und über der Politik stand und dessen Augen verständnisvoll aufleuchteten, wenn er diese oder ständnisvoll aufleuchteten, wenn er diese oder jene Schwerttaktik erwähnte oder erklärte, was sein Gegner falsch oder richtig gemacht hatte – nicht indem er prahlte, sondern indem er sein ganzes Wissen vor dem einzigen Menschen ausbreitete, zu dem er seit dem Tod seines Vaters Vertrauen gefaßt hatte.
Immerhin wußte sie, welchen Ruf die Männer hatten, die er erwähnte. Das überraschte ihn. »In Hua erzählt man sich Geschichten«, sagte sie eines Abends, als er sie darauf ansprach, belustigt und ein wenig verstimmt. Und er kam sich seltsam entblößt vor, als er entdeckte, daß die Nachricht von einer simplen Streiterei bei Hofe sich so weit verbreitet hatte und in den Versionen, die
sie
erzählte, maßlos ausgeschmückt worden war.
»Zauberei, Blödsinn«, bemerkte er zum Tod der Fürstin Bhosai. »Sie hat Fürst Ghita erpreßt. Sie trank aus der falschen Teeschale. So ging's zu in Cheng'di, das kannst du mir glauben. Man durfte sich auf nichts und niemanden verlassen. Das alles geschieht ihnen ganz recht.«
Sie blickte ihn verwirrt an.
»Die Guten haben sie umgebracht«, fügte er hinzu. »Die Fürstin Bhosai gehört allerdings nicht dazu.
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