Der Palast
trugen eine Übungsschlacht aus. Die berittenen Soldaten sprengten über das Feld und schlugen mit hölzernen Übungsschwertern aufeinander ein. Staub wirbelte auf; Kriegsgeheul ertönte; Offiziere brüllten Befehle; Signalgeber bliesen in Tritonshörner. Als Yanagisawa sich dem Übungsplatz näherte, erblickte er Fürst Kii.
Der daimyo, der eine Rüstung und einen Helm mit goldenem Geweih trug, befand sich an einer Seite des Feldes, von seinen Gefolgsleuten umgeben, und beobachtete das Geschehen vom Sattel aus. Der ohnehin stattliche Fürst wirkte in seiner Rüstung noch massiger. Yanagisawa befahl seinen Leibwächtern zu warten und näherte sich Fürst Kii. Der daimyo wandte sich ihm zu. Eine Eisenmaske mit einem grässlich verzerrten Mund bedeckte sein Gesicht. Er hob die rechte Hand, die in einem Lederhandschuh steckte, und rief über den Platz hinweg: »Hört auf!«
Der Lärm verstummte; das Scheingefecht wurde unterbrochen. Die beiden Heere trennten sich und nahmen Aufstellung, als Fürst Kii aus dem Sattel stieg und zu Yanagisawa schritt. Kii zog Helm und Maske ab. Sein rötliches, lächelndes, rundes Gesicht kam zum Vorschein, das sich trotz seiner sechzig Jahre noch eine jugendliche Ausstrahlung bewahrt hatte. Die Lachfalten um seine Augen und eine Lücke zwischen den Vorderzähnen trugen zu seinem liebenswürdigen Aussehen bei. Trotz seiner massigen Gestalt, seinem Rang als einer der mächtigsten daimyo Japans und seiner Begeisterung für militärische Übungen war Fürst Kii ein sanftmütiger, gütiger Mann.
»Willkommen, ehrenwerter Kammerherr«, begrüßte der Fürst den Besucher. Er und seine Truppen verneigten sich. »Welch eine Ehre, Euch bei mir begrüßen zu dürfen.«
»Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, erwiderte Yanagisawa scheinheilig, denn im Grunde machte er nur von dem Recht Gebrauch, Fürst Kiis Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, weil sein Rang es ihm erlaubte. »Bitte lasst Euch durch mich nicht stören«, fügte der Kammerherr hinzu.
Fürst Kii gab den Truppen ein Zeichen, worauf die Schlacht fortgesetzt wurde. Seine Gefolgsleute entfernten sich, damit Fürst Kii und Yanagisawa unter vier Augen miteinander sprechen konnten. »Wenn ich gewusst hätte, dass Ihr mich zu sprechen wünscht, wäre ich zu Euch gekommen«, sagte Fürst Kii mit dem ihm eigenen Eifer, anderen zu gefallen. »Aber ich bin froh, dass ich Gelegenheit habe, Euch noch einmal für die herzliche Bewirtung bei dem Festmahl vor sieben Tagen zu danken.«
»Eine Einladung zu einer abendlichen Unterhaltung ist das Mindeste, was ich für einen guten Freund wie Euch tun kann«, beteuerte Yanagisawa.
Im Laufe der Jahre hatte er Fürst Kii teure Geschenke gemacht und ihm viele Gefälligkeiten erwiesen, um sich auf diese Weise dessen Treue zu sichern, und war erfolgreich gewesen: Der alte daimyo hatte Yanagisawa militärische Unterstützung gewährt, wann immer er sie brauchte. Fürst Kii war zwar nicht einer der Klügsten, doch er wusste, welche Macht Yanagisawa im bakufu besaß. Yanagisawa hatte den Fürsten mühelos davon überzeugt, dass sie gemeinsam jeden Machtkampf überstehen würden. Zudem war Fürst Kii zu ängstlich, um Yanagisawa irgendetwas abzuschlagen.
Der daimyo war der perfekte Verbündete: Er war wohlhabend, besaß schlagkräftige Truppen und große Ländereien, besaß aber keinen eigenen Ehrgeiz. Er war der geborene Gefolgsmann und gehörte zu Yanagisawas Partei.
»Ich bin überrascht, dass Euch die Zeit für einen Besuch bei mir bleibt, wo am Hofe wegen der Entführung so große Aufregung herrscht«, sagte Fürst Kii.
»Genau diese Entführung führt mich hierher«, erwiderte Yanagisawa. »Wir müssen reden.«
»Gewiss.«
Die beiden Männer schritten zu einer stufenförmigen Brettertribüne, die bei Wettkämpfen Sitzplätze bot und den gesamten Platz umgab. Sie stellten sich auf die oberste Stufe in den Schatten eines Baldachins.
»Habt Ihr gewusst, dass der Entführer die Hinrichtung von Polizeikommandeur Hoshina verlangt, wenn Fürstin Keisho-in unversehrt zurückkehren soll?«, fragte Yanagisawa.
»Ja, ich habe davon gehört. Welch ein Unglück für Hoshina -san und für Euch, ehrenwerter Kammerherr! Bitte erlaubt mir, Euch mein tiefes Mitgefühl auszusprechen.«
Yanagisawa musterte den daimyo argwöhnisch, doch Fürst Kii schien es aufrichtig zu meinen. »Die Ermittlungen konzentrieren sich auf die Feinde von Hoshina -san «, fuhr Yanagisawa fort. »Der sōsakan-sama glaubt, dass Ihr zu
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