Der Palast
die Wahrheit aus Niu herausgeprügelt. Langsam schritt er um den Fürsten herum, der jede seiner Bewegungen wachsam verfolgte.
»Das ist eine Lüge!«, spie Niu hervor. »Ich habe die Entführungen nicht befohlen. Wie sollte ich auch, wo ich nicht einmal wusste, wohin die Frauen reisen wollten?«
»Tut nicht so, als hättet Ihr es nicht gewusst«, sagte Hirata und umkreiste Niu weiterhin. Seine Wut wuchs mit jedem Augenblick. »Ihr habt Spitzel im Palast, weil Ihr in Eurer Rachsucht und Verblendung glaubt, die Tokugawa würden insgeheim einen Krieg gegen Euch planen, obwohl sie seit fast einem Jahrhundert den Frieden aufrechterhalten. Und dabei werden Eure Spitzel die Pläne und das Reiseziel von Fürstin Keisho-in erfahren haben.«
»Wie könnt Ihr es wagen?« Fürst Niu öffnete und schloss krampfhaft die Hände, als würde er Hirata am liebsten erwürgen. »Warum verschwendet Ihr Eure Zeit, indem Ihr mich beschuldigt? Ihr solltet lieber den wahren Täter jagen.«
Die Feinseligkeit der beiden Männer ließ die Luft zwischen ihnen förmlich vibrieren. Die Wachposten legten die Hände an die Griffe ihrer Schwerter. Marume und Fukida blickten alarmiert in die Runde; offenbar rechneten sie mit dem Ausbruch eines Kampfes.
»Ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor«, brach Okita schließlich das angespannte Schweigen. Wie Hirata wusste, bestand Okitas Hauptaufgabe darin, Fürst Niu im Auge zu behalten und Situationen zu entschärfen, die den Zorn des daimyo erregen konnten. »Gewiss können wir unsere Meinungsverschiedenheiten beilegen, wenn wir uns alle setzen und gemeinsam Tee trinken.«
Doch Fürst Niu beachtete seinen Gefolgsmann nicht. Er erstarrte, und ein Ausdruck zornigen Begreifens erschien auf seinem entstellten Gesicht. »Ah, jetzt verstehe ich, was hier vor sich geht«, sagte er zu Hirata. »Das ist wieder einer Eurer Versuche, mich in eine Falle zu locken.« Fürst Niu war überzeugt, dass Hirata ihm Schaden zufügen wollte – trotz dessen Beteuerungen, einen Waffenstillstand anzustreben. »Ihr wollt mich als Verräter hinstellen, damit ich für immer verschwinde und meine Ehre verliere!« Der daimyo stieß Hirata den ausgestreckten Zeigefinger gegen die Brust. »Ihr selbst habt die Frauen entführt, und jetzt versucht Ihr, mich als Schuldigen hinzustellen!«
»Was?« Fassungslosigkeit spiegelte sich auf Hiratas Miene. Einmal mehr versetzte es ihn in Erstaunen, wie geschickt Fürst Niu die Wahrheit verdrehte. »Aber ich … Ihr glaubt doch nicht etwa …«
»Leugnet nicht!«, rief Niu, dessen Gesicht vor Zorn rot angelaufen war. »Ihr und der Shōgun habt diese Sache ausgeheckt. Und Ihr habt diesen Plan dann in die Tat umgesetzt. Ihr habt meine Tochter dazu benutzt, mich mit diesem Verbrechen in Verbindung zu bringen. Der Shōgun will mich wegen der Entführung seiner Mutter hinrichten lassen und meine Ländereien den seinen einverleiben. Ist es nicht so?«
»Das ist lächerlich«, erwiderte Hirata.
»Was hat er Euch für Eure Hilfe versprochen, Ihr schmutziger Dieb?« Fürst Niu packte Hirata vorn am Kimono. »Einen Teil meines Vermögens? Die Herrschaft über meine Provinz?«
Empört riss Hirata sich von Niu los. »Niemals würde ich einen Menschen fälschlich des Mordes oder Verrats anklagen! Auch wenn Ihr für alles, was Ihr mir und anderen angetan habt, eine harte Strafe verdient – ich würde eher sterben, als Ränke gegen den Vater meiner Gemahlin zu schmieden. Ihr versucht nur, den Verdacht von Euch selbst auf mich zu lenken!«
»Seht nur, wie er sich bemüht, den Unschuldigen zu spielen«, wandte Fürst Niu sich mit hohntriefender Stimme an die Versammelten. »Und wie er versucht, so zu tun, als hielte er mich für den Schuldigen! Seht nur, wie begierig er ist, meinen Untergang herbeizuführen! Aber das wird ihm nicht gelingen!«
Unvermittelt sprang Fürst Niu vor. Der Aufprall seines Körpers brachte Hirata aus dem Gleichgewicht. Er taumelte zurück und stieß gegen die Wand. Der Aufprall war so heftig, dass das Landschafts-Wandgemälde Risse bekam. Fürst Nius Hände schlossen sich um Hiratas Hals und drückten zu.
»Wo sind meine Tochter und Keisho-in?«, rief Niu, während Hirata nach Atem rang und versuchte, die Hände des daimyo von seinem Hals zu lösen. »Sagt mir, was Ihr mit ihnen gemacht habt!«
Hirata konnte kaum fassen, wie rasch Fürst Niu die Rollen vertauscht hatte, sodass er, Hirata, nun als Verdächtiger und Niu als Ankläger dastand. Die Ermittler Fukida
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