Der Palast
Raum hing eine verzierte Metalllaterne an der Kassettendecke und warf ihr Licht auf das niedrige Podium. Hier saß Tokugawa Tsunayoshi, der seine zylinderförmige schwarze Kappe und einen jadefarbenen Hausmantel aus Satin trug. Er lehnte auf einem Stapel seidener Kissen. Neben dem Podium kniete in seiner unmittelbaren Nähe ein buddhistischer Priester in einem gelben Gewand.
Der Kammerherr blieb stehen. Sano und Hoshina stellten sich links und rechts von ihm auf. Alle betrachteten bestürzt den Priester, der trotzig ihren Blicken standhielt. Es war Ryuko, der geistige Berater und Liebhaber von Keisho-in, ein Mann um die vierzig mit hohem, rasiertem Schädel, langer Nase, schweren Augenlidern und den sinnlichen Lippen einer Buddhastatue. Eine goldene Brokatstola hing über seinen breiten Schultern und glitzerte im Licht der Laterne. Als Sano den Priester in trauter Zweisamkeit mit dem Shōgun vorfand, beschlich ihn das ungute Gefühl, es könnten Schwierigkeiten auf ihn zukommen.
»Ah, seid gegrüßt«, sagte Tokugawa Tsunayoshi, dessen Gesicht in freudiger Erwartung strahlte. Er musterte Yanagisawa, Sano und Hoshina.
Yanagisawa, der sich wieder gefasst hatte, nahm seinen üblichen Platz ein, den Ehrenplatz zur Rechten des Shōgun. Sano und Hoshina knieten sich ein kleines Stück vom Podium entfernt nieder, gegenüber von ihrem Herrn. Alle verneigten sich vor dem Herrscher.
»Habt Ihr die ehrenwerte Fürstin Keisho-in gefunden?«, fragte Tokugawa Tsunayoshi, der sich umsah, als erwartete er, seine Mutter zu erblicken.
Einen Moment herrschte unangenehme Stille. Dann sagte Yanagisawa: »Ich bedauere, Euch mitteilen zu müssen, dass dies nicht der Fall ist.«
Die Enttäuschung verdüsterte die Miene des Shōgun. Yanagisawa drehte sich zu Priester Ryuko um. »Es freut mich, Euch zu sehen. Was führt Euch hierher?«
Sein Tonfall erinnerte Sano an ein in Seide eingeschlagenes Rasiermesser. Es war kein Geheimnis, dass Yanagisawa den Priester verabscheute. Ryuko war ebenso begierig auf Macht wie der Kammerherr. Seine langjährige Verbindung zu Keisho-in hatte ihm das Amt des ranghöchsten Priesters Japans und des indirekten Beraters des Shōgun eingebracht. Sein Einfluss auf Tokugawa Tsunayoshi und auf tausende von Mönchen und Priestern in den Tempeln im ganzen Land bedrohte sogar Yanagisawas Vorherrschaft.
»Ich bin gekommen, um unserem Herrn in diesen schweren Zeiten geistigen Trost zu spenden«, erwiderte Priester Ryuko in höflichem Tonfall, der seinen Hass auf den Kammerherrn jedoch nicht verbergen konnte. Dieser führte einen unablässigen verdeckten Feldzug gegen den Priester, um diesen aus dem Umfeld des Shōgun zu verbannen.
»Ich verstehe.«
Yanagisawas Miene drückte eine Skepsis aus, die Sano mit ihm teilte. Priester Ryuko hatte die Entführung offenbar als Gelegenheit genutzt, sich bei seinem Herrn einzuschmeicheln. Und die Gründe dafür waren für alle Anwesenden durchschaubar – außer für Tokugawa Tsunayoshi. Der Priester wusste, dass seine Stellung bei Hofe von Keisho-in abhing. Sollte sie sterben, würde er seine Macht verlieren – wenn er sich nicht beizeiten den Schutz des Shōgun sicherte. Das Misstrauen, das Sano dem Priester gegenüber empfand, steigerte seine Abneigung gegen ihn. Diesem Mann ging es nur um selbstsüchtige Interessen. Das Wohlergehen von Keisho-in, Reiko oder den anderen Frauen war ihm im Grunde gleichgültig.
»Warum habt Ihr … äh, meine Mutter noch nicht gerettet?«, fragte der Shōgun, der die Spannungen zwischen Ryuko und den anderen Besuchern offenbar gar nicht bemerkte.
»Bitte erlaubt mir, Herr, Euch daran zu erinnern, dass noch kein Tag vergangen ist, seitdem wir von Fürstin Keisho-ins Entführung erfahren haben«, sagte Hoshina, zurückhaltende Ehrerbietung in der Stimme. »Die Ermittlungen brauchen Zeit.«
»Ihr hattet genug Zeit. Habt Ihr … äh, etwas anderes getan, als sie zu verschwenden?« Sichtlich gereizt beugte der Shōgun sich vor und starrte Hoshina, Yanagisawa und Sano an. Wie Sano befürchtet hatte, erwartete ihr Herr auf der Stelle Ergebnisse. »Was … äh, für Fortschritte habt Ihr gemacht, um meine Mutter zu mir zurückzubringen?«
Als Priester Ryuko den Wortwechsel verfolgte, verzog er schadenfroh seine vollen Lippen. Hoshina blickte den Priester finster an. Kammerherr Yanagisawa sagte: »Wir haben heute eine Reihe viel versprechender Spuren verfolgt. Der sōsakan-sama wird Euch nun berichten, was er herausgefunden hat.«
Es war
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