Der Palast
die Stimme erhoben hatten. Sano verspürte Trauer, gepaart mit Furcht, denn nicht einmal die Geschicklichkeit des Kammerherrn, den Shōgun zu beeinflussen, würde ihnen diesmal helfen können, wenn ihm nicht das Wort erteilt wurde.
Der Shōgun wandte sich an Priester Ryuko. »Die Männer, auf die ich mich verlassen habe, haben mich enttäuscht«, klagte er. »Werdet wenigstens Ihr mir helfen?«
Trotz Ryukos würdevoller, ernster Miene war seine Genugtuung nicht zu übersehen. »Ich werde mein Bestes tun, Herr.« Er spähte zu Yanagisawa hinüber, auf dessen Miene sich unterdrückte, wilde Wut spiegelte.
»Dann sagt mir, wie ich meine Mutter retten kann«, forderte der Shōgun ihn auf. Er war bereit, sein Vertrauen, das er bisher Sano, Yanagisawa und Hoshina geschenkt hatte, nun auf Priester Ryuko zu übertragen.
»Mit Eurer Erlaubnis, Herr, werde ich die Antwort von den Orakelknochen erbitten«, antwortete Ryuko.
Er rief drei Mönche zu sich und erteilte ihnen Befehle. Sie holten eine Kohlenpfanne mit heißen Kohlen und einen schwarzen Lacktisch, auf dem mit Weihrauch gefüllte Räuchervasen, Kerzen, eine Schale mit Sake, Früchte, eine Schale mit gekochtem Reis, Kirschholzstäbe und die gesäuberten, polierten Unterseiten von fünf Schildkrötenschilden standen. Die Mönche zündeten den Weihrauch und die Kerzen an. Einer legte einen Schildkrötenschild in Ryukos Hand. Die anderen erhitzten die Stäbe in den Kohlen.
»Oh, Götter des Glücks, ich bitte Euch demütig, uns mitzuteilen, wo die ehrenwerte Fürstin Keisho-in sich befindet«, deklamierte Ryuko.
Ein Mönch reichte ihm einen Stab, dessen Spitze rot glühte. Priester Ryuko drückte die Spitze in ein Loch, das in die Innenseite des Schildkrötenschildes gebohrt worden war. Der Shōgun beobachtete gebannt die Zeremonie. Bei Sano hingegen erregte dieses Ritual Missfallen, ebenso bei Yanagisawa und Hoshina. Obwohl Wahrsager die Riten mit Schildkrötenschilden und Tierknochen seit undenklichen Zeiten vollführten und es durchaus schon vorgekommen war, dass Orakel geheime Wahrheiten enthüllt und die Taten von Kaisern und Generälen beeinflusst hatten, konnten diese Prophezeiungen von Scharlatanen missbraucht werden, um Leichtgläubige hereinzulegen.
»Ihr Götter! Was muss unser Herr, der Shōgun, tun, damit seine Mutter unversehrt nach Hause zurückkehrt?«, fragte Priester Ryuko.
Seine Gehilfen schwangen den Stab, dessen glühende Spitze gegen den Schildkrötenschild stieß. Der Geruch verbrannter Knochen vermischte sich mit dem süßen Duft von Weihrauch. Ein lautes Knacken erklang, als die Hitze dem Rückenschild Risse zufügte. Priester Ryuko wiederholte den Vorgang, bis die Stäbe zu Stummeln heruntergebrannt waren. Rauch durchzog den Raum; alle fünf Schildkrötenschilde wiesen nun zahlreiche Risse auf.
»Was hat das … äh, Orakel gesagt?«, fragte der Shōgun gespannt.
Priester Ryuko legte die Schilde auf den Tisch. Als er die Risse betrachtete, mittels derer die Götter ihm ihre Antworten auf seine Fragen übermittelt hatten, wurde seine Miene ernst. »Die Götter verweigern eine Offenbarung des Ortes, an dem Fürstin Keisho-in sich aufhält«, erwiderte er.
Natürlich, dachte Sano, während Enttäuschung die Züge des Shōgun verdüsterte und Hoshina und Yanagisawa empört die Gesichter verzogen. Ryuko war zu gerissen, um Keisho-ins Aufenthaltsort zu benennen und somit zu riskieren, dass die Ereignisse seine Vorhersage widerlegten.
»Die Götter sagen, Ihr müsst Euch das Wissen verdienen«, belehrte er den Shōgun.
»Und wie? Was muss ich tun?« Tokugawa Tsunayoshi beugte sich zu Ryuko hinüber und faltete die Hände, von ängstlicher Hoffnung durchdrungen.
»Euer Regime steht nicht mehr in Harmonie mit dem Kosmos«, sagte Ryuko. »Böse, dämonische Einflüsse bedrängen Euch und bedrohen die Zukunft Eures Klans. Ihr müsst Euren Hof von diesen schändlichen Einflüssen reinigen und das spirituelle Gleichgewicht wiederherstellen, dann wird der Weg für Fürstin Keisho-ins Rückkehr geebnet sein.«
»Äh, dieser Rat erleichtert mich.« Doch sofort wich die Erleichterung des Shōgun tiefer Verwirrung. »Aber wie kann ich … äh, erfahren, welche Menschen in meiner Nähe schändlich sind?«
Sano war bestürzt, denn er ahnte, was Ryuko antworten würde.
»Ich werde die Namen der schändlichen Personen, die Ihr vom Hofe vertreiben müsst, weissagen«, versprach Priester Ryuko.
Er warf dem Kammerherrn und dem Polizeikommandeur einen
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