Der Paradies-Trick (Kindle Single) (German Edition)
dachte, ich sollte dich interviewen.«
Fatima lächelte ihr offenes, trauriges Lächeln. »Tust du das denn nicht?«
»Nein, überhaupt nicht, fürchte ich. Also sag’s mir. Was kommt als Nächstes? Du hast jetzt deine Freiheit, wie wirst du sie nutzen?«
Eine lange Pause trat ein. Delilah fand nicht, dass sie zu sehr nachgebohrt hatte. Schließlich gab sie sich als Journalistin aus, die vorgeblich ein Hintergrundinterview durchführte. Sie bedauerte, dass das Momtaz keinen Alkohol ausschenkte – selbst die diszipliniertesten Zielpersonen neigten dazu, sich nach ein paar Drinks mehr und mehr zu öffnen. Es wäre auch eine Hilfe gewesen, Fatima in einer weniger vertrauten Umgebung zu treffen, an einem Ort, der sie dazu brachte, sich selbst zu vergessen. Rain hatte diese Technik bei Delilah angewandt, damals, als sie sich noch lauernd umkreist hatten und in die bessere Position zu gelangen versuchten – er hatte sie nach Phuket gelockt, sie beschwipst gemacht und das, was er zwischen den Zeilen las, zu seinem Vorteil genutzt. Die Erinnerung tat nicht weh. John war gut, sie hatte nie einen Besseren getroffen. Und sie hatte aus der Erfahrung gelernt. Sie überlegte, ob sie hier etwas Ähnliches versuchen sollte.
Endlich sagte Fatima: »Ich möchte nicht, dass du das druckst, einverstanden?«
Delilah nickte und fragte sich verwundert, was nun folgen würde. Sie freute sich, denn es schien ein Vertrauensbeweis zu sein. »In Ordnung.«
»Ich weiß nicht, was ich als Nächstes tun werde. Ich fühle mich … verfolgt. Verfolgt von dem, was man meinen Brüdern angetan hat.«
Sie verstummte wieder. Delilah fiel auf, dass sie nicht davon sprach, was ihren Brüdern zugestoßen war, was ein Fehlen von Absicht impliziert und die Tragweite ihres Todes heruntergespielt hätte. Nein, was ihnen angetan wurde. Das wies auf ein Subjekt hin, eine aktive Handlung. Die Leute, die die Drohnen geschickt hatten. Amerika, der Westen.
»Warum möchtest du nicht, dass ich das drucke?«, fragte Delilah. »Natürlich werde ich es nicht tun, aber …«
»Weil das so nach Selbstmitleid klingt. So pathetisch. Aber es stimmt. Es lässt mich nicht los. Was meine Familie durchgemacht hat … das sollte niemand durchmachen müssen. Wenn ich etwas tun kann, um dieses Morden zu stoppen – und es handelt sich um Mord –, dann kann ich nicht anders. Sonst finde ich keinen Schlaf mehr.«
Es brachte Delilah aus dem Konzept, etwas zu hören, das so sehr an das Mantra erinnerte, mit dem sie Johns ständiges Drängen beantwortet hatte, aus dem Job auszusteigen. Wie hätte sie denn je wieder gut schlafen können, nachdem sie im Fernsehen das nächste Massaker in einer Pizzeria oder einem Einkaufszentrum in Tel Aviv gesehen hatte? Eine Rakete, die in einer Schule auf der West Bank einschlug? Oder, Gott möge es verhindern, einen Gasangriff mit zahllosen Opfern?
»Ich finde, es klingt weder nach Selbstmitleid noch pathetisch«, erwiderte Delilah und empfand dabei ein Mitgefühl, das echt und gleichzeitig beunruhigend war. »Aber was willst du unternehmen?«
»Was immer in meiner Macht steht«, antwortete Fatima, und ihr Blick richtete sich wieder in die Ferne. Abermals empfand Delilah Unbehagen angesichts der Parallelen zu ihren eigenen Rechtfertigungen, ihren eigenen Worten. Fatima sagte nichts mehr, und Delilah empfand ihr Schweigen als leicht beängstigend und gleichzeitig enttäuschend. Wieder fragte sie sich, ob Fatima nicht in einer anderen Umgebung wesentlich gesprächiger gewesen wäre, vielleicht nach ein paar Drinks. Sie begann sich für die Idee zu erwärmen und überlegte, wie sie sich umsetzen ließ.
Sie tranken ihren Kaffee aus, und Delilah schoss ein paar Fotos – von einer verwestlichten pakistanischen Frau, die abends unter ihresgleichen ein Restaurant besucht. Fatima bestand darauf, die Rechnung zu begleichen, weil Delilah sie im Notes eingeladen hatte. Beim Hinausgehen spürte Delilah die Augen jedes anwesenden Mannes heiß über ihre Gesichter und Körper streichen. In einigen Fällen spiegelte dieses Starren lediglich Begierde wieder, eine Art verdrehtes Besitzdenken. Aber in anderen Blicken las sie einen Abscheu, der an Hass grenzte. Warum? Weil Frauen etwas besitzen, das sie haben wollen, von dem sie aber nicht wissen, wie sie es auf legitime Weise erlangen können? Weil sie jemanden brauchen, auf den sie herabsehen und den sie verletzen können, um ihre eigene Armseligkeit und Machtlosigkeit zu vergessen? Weil ein Mann
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