Der Paradies-Trick (Kindle Single) (German Edition)
ermordet. Aber dann stellst du fest, dass du dich geirrt hast. Weil nämlich danach, wenn ihr euch versammelt, um das tote Kind zu beweinen, Amerika eine zweite Drohne schickt, um die Trauernden zu bombardieren. Weil ein Berater im Weißen Haus dir erzählt, dass dein Kind getötet wurde, weil ihr keine guten Eltern wart. Weil irgendein überprivilegierter Kolumnist vom Time Magazine dir weismachen will, dass dein Kind ermordet werden musste, damit seines leben kann. Oder weil der amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen behauptet, dass es eine halbe Million toter irakischer Kinder ›wert war‹.«
Delilah nickte. »Ja. Dann wäre es noch viel schlimmer.«
»Du sagst, du würdest ihn töten wollen. Und wenn du die Gelegenheit dazu hättest?«
»Ich weiß nicht. Aber … was ist mit ›Hass kann Hass nicht vertreiben; nur Liebe kann das‹? All die Dinge, die du in deinem Appell an den amerikanischen Verteidigungsminister gesagt hast?«
»Ich denke, das ist eine schöne Hoffnung. Aber manchmal … ich weiß nicht. Manchmal denke ich, das Bedürfnis nach Rache muss doch einen Grund haben. Es ist so natürlich, so universell, so tief in uns verankert. Gibt es also vielleicht einen Punkt, an dem es unklug wäre, es zu bekämpfen? Ich meine, gegen etwas anzugehen, das so fundamental in unserer Natur liegt, wäre so ähnlich, wie sich anzugewöhnen, auf den Händen statt auf den Füßen zu gehen. Ja, es ist machbar, man kann damit kurze Entfernungen zurücklegen, aber ist es auch sinnvoll? Wir sind einfach nicht so gebaut.«
Delilah spürte, dass die Dinge, unter deren Druck sich diese Frau nachts schlaflos im Bett wälzte, jetzt verführerisch dicht unter der Oberfläche herumwirbelten. Die Kunst war, sie unauffällig hervorzulocken.
»Ich verstehe, was du meinst. Aber sind nicht unsere Vernunft und die Eigenschaft der Barmherzigkeit ebenso fundamentale Bestandteile unseres Menschseins? Du weißt schon, die besseren Seiten unserer Natur?«
»Aber das Wesentliche ist doch, zu wissen, welche Aspekte unserer Natur die jeweilige Situation erfordert, oder nicht? Du zitierst Shakespeare, gut, hier ist noch ein Zitat aus Heinrich V. : ›Im Frieden kann so wohl nichts einen Mann / als Milde und bescheidne Stille kleiden, / doch bläst des Krieges Wetter euch ins Ohr …‹«
Delilah fuhr fort: »Dann ahmt den Tiger nach in seinem Tun, / spannt eure Sehnen, ruft das Blut herbei …«
Fatima nickte mit ernster Miene. »›Entstellt die liebliche Natur mit Wut.‹« Sie trank ihr Glas aus, schloss die Augen und atmete tief durch. Dann sah sie Delilah an. »Es freut mich, dass du Shakespeare magst. Und es tut mir leid, dass ich so philosophisch bin.«
Es war enttäuschend, dass Fatima das vielversprechende Gesprächsthema abschloss, aber Delilah war klar, dass sie nicht weiter in sie dringen durfte. Jedenfalls nicht direkt.
»Aber das macht doch nichts. Ich habe dich schließlich gefragt. Außerdem gefällst du mir, wenn du philosophisch bist. Na ja, nicht unbedingt philosophisch, aber ehrlich. Wo immer dich das hinführt.«
Fatima lächelte ihr trauriges Lächeln. »Und du wirst wirklich nichts davon drucken?«
»Ich sagte doch, ich stehe hinter deiner Arbeit. Ich möchte nur einen Artikel schreiben, der dich unterstützt. Du kannst mir vertrauen. In Ordnung?«
Fatima lächelte und drückte Delilahs Hand. »Danke. Ich bin froh, dass ich dich getroffen habe. Weißt du, erst war ich ein wenig eingeschüchtert, als du mich bei der Demonstration angesprochen hast.«
Delilah war sich der Wärme von Fatimas Berührung deutlich bewusst. »Eingeschüchtert? Warum?«
»Weil du so schön bist. Und so selbstsicher.«
»Von dir ist das ein ziemliches Kompliment. Weißt du, mir ging es genauso.«
Fatima lachte. »Lügnerin.«
»Ich lüge nicht. Ich glaube, du bist viel zu bescheiden. Aber darum kümmern wir uns beim nächsten Glas Wein.«
Sie füllte die Gläser wieder auf und lehnte sich neben Fatima zurück. »Es ist wahr. Du bist schön, sehr sachkundig und unwiderstehlich vor einer Menschenmenge. Wie hätte ich da nicht eingeschüchtert sein sollen?«
Fatima lächelte. »Du bist wirklich sehr nett. Und es tut mir leid, wenn ich so paranoid wirke dessentwegen, was du schreibst. Es ist nur … eine Menge Leute blicken auf mich. Verstehst du, was ich meine?«
Delilah war gefesselt. »Nicht genau. Du meinst, weil du in der Öffentlichkeit stehst?«
Fatima nickte vielleicht einen Hauch zu eifrig, als wäre sie
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