Der Peststurm
unterstrich seine Weisheit mit einem erhobenen Zeigefinger, den er zur Mahnung auch noch kräftig schüttelte.
Ulrich Dreyling von Wagrain wartete noch so lange, bis niemand mehr über den Spruch des Priesters schmunzelte und fuhr fort: »Jedenfalls haben wir uns dann eine wilde Verfolgungsjagd über Stock und Stein geliefert, bei der ich so nahe an ihn herangekommen bin, dass er mich spätestens da erkannt haben musste … auch wenn ich auf einem braunen Pferd gesessen bin und meinen bräunlich wirkenden Kürass, der farblich fast mit meinem Pferd verschmolzen war, angelegt hatte. Außerdem hat er meine Reiserüstung noch nie zuvor gesehen … glaube ich zumindest«, ergänzte der Kastellan, für einen Moment nachdenklich geworden.
»Der auffällige Hut … «, murmelte Nepomuk so leise, dass es nicht einmal der neben ihm sitzende Propst hören konnte. Er wollte den anderen nicht die Spannung, und somit die Freude an Ulrichs beeindruckender Erzählung, nehmen.
»Und? Konntest du ganz aufholen? Hast du ihn dir gegriffen? … Nun sag schon!«
»Ja: Sag’s uns endlich, Vater«, drängte nun auch der zwar wissbegierige, ansonsten aber nicht gerade neugierige Eginhard, der von allen Anwesenden wahrscheinlich am Wenigsten, was soviel hieß wie überhaupt nichts, wusste.
Wenn auch der eine oder andere wenigstens das Ende des Liedes – allerdings ohne die Umstände, wie es dazu gekommen war – kannte, war es während Ulrichs Erzählung immer spannender, unerträglich spannend, geworden … auch wenn denjenigen unter ihnen, die wirklich von nichts wussten, der Ausgang dieser Hatz so langsam zu dämmern begann … falls sie in die richtige Richtung dachten. Dementsprechend still war es im Raum. Würde da nicht der Duft brennender Kerzen und abgebrannter Tannenäste über der unguten Erzählung liegen, und würde man sich nicht wegen eines positiven Ereignisses – der Geburt Christi – zusammengefunden haben, könnte man an der spannungsgeladenen Luft schier ersticken.
»Ich war so nah an ihm dran«, deutete der Kastellan mit Daumen und Zeigefinger, »… dass ich schon meine Waffe gezogen und mich innerlich auf einen Kampf vorbereitet habe. Da aber mein Pferd endgültig schwächelte und der Totengräber das wechselnde Gelände gut auszunutzen verstand, ist der Abstand wieder größer geworden … Sein Andalusier war einfach schneller«, musste der Kastellan unumwunden zugeben.
Ein enttäuschtes Raunen ging durch die Reihe.
»Und das war’s dann«, stellte der Weißacher Bauer mehr fest, als dass er fragte.
»Nun wartet doch ab«, beruhigte der Kastellan seine Zuhörer und erzählte weiter. »Der Abstand hat sich zwar ständig vergrößert, aber ich bin ihm dennoch die ganze Zeit über auf den Fersen geblieben, … zumindest so lange, bis ich gemerkt habe, dass er nicht nach Aulendorf reitet, sondern sein Pferd in eine andere Richtung lenkt.«
»Wohin?«, kam die Frage fast aller Zuhörer wie aus einem Munde, als wenn sie soeben aus tiefem Schlaf hochgeschreckt wären.
»Ich habe zwar ein Weilchen gebraucht, seine Spuren aber gefunden«, betonte der Kastellan mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme.
»Und?«
»Er ist nach Schussenried geritten.«
»Was sollte dieser Sinneswandel? Oder hatte er die von Gott verdammte Hure angelogen, um von sich abzulenken?«, fragte Johannes Glatt unverblümt, während sich die anderen kaum zu schnaufen, geschweige denn, den Kastellan zu unterbrechen trauten. »Er wollte doch sicher nicht dem dortigen Konvent beitreten.«
»Doch«, scherzte der Kastellan. »Aber das hat sich erst später herausgestellt. Er hat sich wohl während des Rittes anders entschieden, um den sicheren Schutz hinter den dortigen Klostermauern zu suchen.«
»Das ist Blasphemie«, empörte sich der Propst. »Die dortigen Prämonstratenser werden diese Ausgeburt der Hölle doch nicht bei sich aufgenommen haben?«
»Leider doch«, antwortete der Kastellan, bevor er weitersprach. »Zumindest haben sie ihm Einlass gewährt – wer weiß, was der dem Bruder Pförtner alles erzählt hat. Denn als ich an der Klosterpforte angekommen war, wurde mir erst nach einigem Zögern das Tor geöffnet. Ich vermute, dass es der Halunke mit klingender Münze geregelt hat, mich hinzuhalten.«
»Ja, ja. Selbst Mönche sind dem Geklimper von Geld nicht abgeneigt«, spottete Nepomuk sehr zum Ärgernis des Propstes.
»Dann habt Ihr ihn ja endlich gehabt, Herr«, freute sich der Weißacher Bauer, rieb sich aber zu früh die
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