Der Pfad des Kriegers (German Edition)
zugehört hätten, ihre Macht fast vollständig genommen worden. Gerade eben war auch Skjoldr zu Sigurd übergetreten, weitaus weniger freundlich begrüßt. Dies bedeutete das Ende der Abstimmung. Entscheidungen fielen immer einstimmig, die unterlegene Gruppe schloss sich der Mehrheit an oder sie verließ die Versammlung. Langsam leerte sich der Saal bis auf wenige Männer, die mit Sigurd die alltäglicheren Angelegenheiten besprachen. Auch Arvid verließ den Saal, denn nach dieser hitzigen Diskussion, die wohl schon in den frühen Morgenstunden begonnen hatte, würde Sigurd kaum bereit sein, ihn nochmals anzuhören. Beim Verlassen der Halle stellte er zu seiner Verwunderung fest, dass unter Hafgrimrs Gruppe auch Frauen waren. Frauen genossen in seinem Volk viele Rechte und es war durchaus üblich, dass Frauen nach dem Tod ihres Mannes mit einem eigenen Boot zum Fischfang hinausfuhren oder auf die Jagd gingen, aber Frauen als Heerführer? Vermutlich wurde darüber überall geredet, aber das war nun mal der Nachteil, wenn man lieber Zeit mit Schriftrollen als mit Menschen verbrachte.
Fasziniert betrachtete Arvid eine Frau, die wenige Schritte vor ihm ging. Wie die Männer trug sie ihre Haare zu einem Zopf zusammengebunden und in ihrem Gürtel steckte die traditionelle Waffe seines Volkes, die einhändige Streitaxt. Stolz schritt sie dahin, dass Gewicht des schweren Kettenhemdes schien sie nicht im Mindesten zu beeinträchtigen. Wie selbstverständlich redete sie mit den anderen Kriegern und lachte gerade lauthals. Arvid hatte sich schon in den letzten Wochen an die anderen Umgangsformen der Landmenschen, wie er sie nannte, gewöhnen können, dennoch schafften sie es immer wieder, ihn zu irritieren. Am Hof hatte alles andere als ein leichtes Lächeln als unziemlich für eine Dame gegolten. Trotzdem konnte er sich dem Charme dieser jungen Frau, sie dürfte nur wenige Jahre älter als er sein, nicht entziehen und folgte ihr auf ihrem Weg in die Stadt. Erst als sie mit ihren Kumpanen eines der von Arvid so gehassten Gasthäuser betrat, wandte er sich ab und machte sich auf den Heimweg, schaute aber vorher noch kurz zum Hafen. Er mochte den Anblick der Boote, er beruhigte ihn immer. Er war eben doch irgendwie ein Sohn seines Volkes. Auf dem Rückweg kam er schnell voran, denn die Sonne hatte den Schlamm vom Vortag nahezu vollständig getrocknet.
Irgendetwas war an dem heutigen Treffen seltsam gewesen. Es war nur ein unbestimmtes Gefühl, aber er war sich sicher, dass etwas ganz und gar nicht gestimmt hatte. Hatten Hafgrimr und Sigurd wirklich gemeinsame Sache gemacht? Niemand hatte etwas gesagt dazu, aber dennoch hatte es auf Arvid so gewirkt. Gerade war er gedankenverloren um eine Straßenecke gebogen, da hörte er ein lautes, unverkennbares Lachen.
„Mein Bruder“, dachte er: „Der hat mir gerade noch gefehlt.“
V
Thomas stolperte vorwärts. Ohne seine Hände, die auf seinem Rücken zusammengebunden waren, war es für ihn fast unmöglich den steilen Abhang hinaufzukommen. Immer wieder stürzte er und schürfte sich Knie und Beine auf. Erst vor wenigen Stunden war er das erste Mal zu sich gekommen und als er die Augen geöffnet hatte, hatte er in das wenig freundliche Gesicht eines Maegrin geschaut, der ihn aus seinem Trinkschlauch mit Wasser übergossen hatte. Nur wenige Minuten später waren sie aufgebrochen. Anscheinend war er für mehrere Stunden bewusstlos gewesen, denn als er sich umgeschaut hatte, hatte er frisch ausgehobene Gräber entdeckt, in denen wohl die gefallenen Maegrin beerdigt worden waren. Etwas entfernt lag ein größerer Haufen toter Llaevin. Thomas hatte vermieden ihn genauer anzuschauen, aber dennoch bald bestürzt festgestellt, dass er der einzige Überlebende war. Der Gedanke hatte ihn traurig gestimmt, aber die Strapazen des Marsches hatten ihn bald an den Rand seines Bewusstseins gedrückt und so waren die letzten Stunden vergangen, ohne dass er groß an seine Gefährten, die noch vor weniger als einem Tag mit ihm zusammen gekämpft hatten, gedacht hätte.
Mit einer gewissen Zufriedenheit hatte Thomas im Laufe der letzten Stunden bemerkt, dass die Maegrin äußerst vorsichtig waren und sich nur leise unterhielten. Anscheinend gab es noch andere Gruppen Laevlin in dieser Gegend oder es war sogar wieder ein Heer Richtung Norden unterwegs. Angestrengt lauschte er den Gesprächen um sich herum, aber er konnte nichts verstehen. Die Sprache war ihm völlig fremd. Wie sehr
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