Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
göttlicher Strafe, sondern aus Angst vor den Menschen. Das Liaber Moralis – Stütze des verflossenen Kaiserreichs.«
Laerte kniff die Augen zusammen und bemühte sich, nicht wieder ohnmächtig zu werden. Sein Gesicht brannte. Einmal hatte er es in einem Spiegel begutachtet. Es sah schrecklich aus. Die Nase war gebrochen, die Augen halb zugeschwollen. Zwar erkannte er den Herzog, es gelang ihm aber kaum, ihn in seine Erinnerungen einzubinden. Sein Gesichtsfeld war noch stark beeinträchtigt. Wäre nicht so viel Zeit vergangen und wäre er nicht so viele Male mit entsetzlichen Schmerzen aufgewacht, hätte er geglaubt, das alles nur zu träumen.
»Lima hat mir mitgeteilt, dass Ihr die Sprache wiedergefunden habt«, sagte de Page.
Lima war eine von De Pages Dienerinnen – ein hübsches, sanftes Mädchen mit tätowiertem Gesicht. Eine Nâaga.
»Dann wisst Ihr vermutlich längst, dass die Revolution stattgefunden hat und dass seither vier Monate vergangen sind.«
Laerte nickte langsam.
»Ihr befindet Euch in meiner Villa im Süden«, fuhr De Page fort.
Vielleicht hoffte De Page, dass sein Gast das folgende Schweigen brechen würde, doch Laerte blieb stumm und warf seinem Gastgeber unfreundliche Blicke zu.
Gregory De Page senkte den Kopf. Was sollte das? Immerhin hatte er dem Jungen das Leben gerettet. Schließlich zog er einen Sessel heran, setzte sich neben Laerte und blickte ihm in die Augen.
»Ihr seid kein gejagtes Tier mehr, Laerte von Uster«, sagte er ruhig. »Meurnau ist tot. Ebenso der Laerte, von dem man annahm, dass er den Aufstand angezettelt hatte. Das Volk ist der Meinung, dass sowohl Meurnau als auch Laerte von Uster die Revolutionäre anführten, um anschließend selbst den Thron zu besteigen und nicht etwa, um die Republik auszurufen. Man glaubt, dass Etienne Azdeki sie daran gehindert hat, die Macht zu ergreifen.«
Laerte wandte den Blick ab. So stand es also. Er hatte wirklich alles verloren. Und der Mörder seiner Familie regierte das Land und war von allen Verfehlungen reingewaschen.
»Keine Sorge, Laerte«, versuchte De Page ihn zu beruhigen. »Ich bin nicht Euer Feind. Ich habe Euch das Leben gerettet.«
»Warum?«
Laertes Stimme klang schwach und brüchig, aber sehr entschlossen.
De Pages zufriedenes Lächeln wich tiefem Ernst. Er stützte sich auf die Armlehnen seines Sessels und genoss die ins Zimmer einfallenden Sonnenstrahlen, ehe er sich zu einer Antwort entschloss.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich jemanden wie Euch nicht einfach sterben lassen konnte. Sicher auch wegen Rogant und Aladzio. Die beiden hängen sehr an Euch.«
»Eure Untergebenen …«
»Sie sind meine Untergebenen, das ist richtig. Aber vor allen Dingen sind sie Männer, die großen Respekt verdienen«, gab De Page trocken zurück. »Dass Aladzio noch in meinen Diensten steht, ist übrigens ein gut gehütetes Geheimnis. Ihm habt Ihr Eure Rettung zu verdanken. Die beiden stehen in meinen Diensten – das ja. Aber sie sind nicht meine Sklaven.«
Zum ersten Mal seit seiner schweren Verletzung gelang Laerte ein winziges Lächeln, doch es war so gemein, dass es De Page verletzte. Kopfschüttelnd wandte er sich ab.
»Denkt doch, was Ihr wollt. Tatsache ist, dass Ihr in Sicherheit seid und hier nichts zu befürchten habt. Niemand sucht Euch. Azdeki und seine Leute halten Euch für tot. Außerdem haben sie im Augenblick ganz andere Sorgen.«
»Was ist mit Dun-Cadal?«, erkundigte sich Laerte.
Das Bild seines Lehrmeisters tauchte plötzlich wieder vor ihm auf, und mit ihm das Gesicht einer schönen jungen Frau mit langen Locken. Zu den körperlichen Qualen gesellte sich nun auch noch seelischer Schmerz, der ungleich schärfer brannte: Schuldbewusstsein. Keine Sekunde hatte er an die beiden gedacht – keine Sekunde! Welch selbstgefälliges Monster war nur aus ihm geworden! Azdeki hatte ihn behandelt wie ein jämmerliches Spielzeug, und jetzt war er nur noch ein zerbrochener Hampelmann.
Tränen traten ihm in die Augen. Waren sein Schmerz und seine Wut wirklich so wichtig gewesen, dass er sich nicht einmal für ihr Schicksal interessiert hatte?
Er unterdrückte ein Schluchzen.
»Und Esyld Orbey?«, entfuhr es ihm.
»Dun-Cadal ist vermutlich geflohen, allerdings weiß ich nicht, wohin«, antwortete De Page. »Was Esyld angeht, so werde ich nach ihr suchen lassen.«
»Findet sie«, befahl Laerte noch immer schluchzend. Wieder meldete sich sein Zorn zurück. »Findet sie und bringt sie her.«
De Page
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