Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Menschheit, Laerte«, fuhr Aladzio nun wieder begeistert fort. »Um die Legende vom Mönch im Fangol-Turm, der die Stimme der Götter hört, die ihm das Geschick der Menschen zuflüstern. Dreißig Tage und Nächte soll er ununterbrochen geschrieben haben, ohne sich auszuruhen oder Nahrung zu sich zu nehmen. Er schrieb, bis er starb. Alles habe ich auch noch nicht verstanden, aber …«
»Aber was?«, fuhr Laerte ihn an. »Hast du es entschlüsselt oder nicht? Was wollen die Azdekis? Sag es mir! Nur das interessiert mich, Aladzio.«
»Ich habe es nicht entschlüsselt«, gab Aladzio zurück. »Dazu ist es viel zu komplex. Aber ich habe Dinge gefunden, die zu Ereignissen der Vergangenheit passen könnten und vielleicht Hinweise auf die Zukunft geben. Aber natürlich bin ich mir nicht ganz sicher …«
»Sie wollen die Republik wieder auflösen«, unterbrach ihn De Page und erhob sich langsam aus dem Sessel.
»Sie haben sie zwar ins Leben gerufen, können sie aber offenbar nicht mehr kontrollieren. Der Fangol-Orden verliert an Unterstützung, andere Glaubensrichtungen werden stärker, und nichts läuft so, wie sie es geplant hatten. Azdeki hat sich immer als hehren Retter gesehen, als vom Volk erwählt, und hat sein Leben lang gehofft, im Heiligen Buch sein ruhmreiches Schicksal lesen zu können. Er wird dem Volk mitteilen, dass er im Besitz des Liaber Dest ist. Seit Aladzio angefangen hat, es zu entschlüsseln, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis er es tatsächlich lesen kann … und damit die Götter versteht.«
Nachdenklich strich er seine Ärmel glatt.
»Es geht um die Azdekis, Rhunstag, Enain-Cassart und alle anderen, die nicht mehr an die Dynastie der Reyes glaubten … Als dein Vater ihnen den Pakt zwischen deiner und der Familie Reyes enthüllte, als sie begriffen, dass das Liaber Dest nur sehr lang geheim gehalten worden war und immer ein Reyes an der Spitze des Fangol-Ordens stand, da wussten sie, was zu tun war. Sie glaubten felsenfest daran, dass das Liaber Dest das Schicksal der Menschheit enthält und der Fangol-Orden der einzige Garant für den Respekt vor den Traditionen ist. Nachdem sie jedoch die Republik ausgerufen hatten, mussten sie feststellen, dass sie gefährlich in eine Richtung tendierte, die diesen Vorstellungen absolut nicht entsprach. Es ging ihnen nicht um die Macht, Entscheidungen zu treffen, sondern um die Macht, eine Welt nach ihrer Vorstellung zu erschaffen. Verstehst du, Laerte?«
De Page lächelte ihn an.
»Du und ich, wir haben gemeinsame Interessen. Ehe ich tätig wurde, musste ich jedoch sicher sein, alle Trümpfe in der Hand zu haben. Jetzt, in diesem Augenblick, plant Azdeki seine Thronbesteigung. Ich muss wissen, wer bereit ist, ihm zu folgen, und weiß, wo diese Leute zu finden sind. Stolz, wie er ist, will er den großen Moment mit der Hochzeit seines Sohns verbinden. So soll eine neue Dynastie entstehen, die mit der Unterstützung der Götter regiert. Der Fangol-Orden bekommt mehr Macht denn je, und der Traum deines Vater wird vernichtet, nachdem sich Azdeki seiner bedient hat, um den Zusammenbruch der alten Welt herbeizuführen.«
»Nein«, flüsterte Laerte. »Das darf niemals geschehen.«
»Wir werden natürlich etwas unternehmen, um sie daran zu hindern.«
»Wann ist es so weit?« Laertes Stimme klang wie ein Peitschenhieb.
»In einem Jahr«, gab De Page zurück. »In Masalia, während der Nacht der Masken. Unmittelbar nach der Hochzeit seines Sohns.«
Während der Nacht der Masken …
Nach … der Hochzeit …
Die Hochzeit. Mit Sicherheit hatte De Page gewusst, wer die glückliche Braut war. Und wenn er nichts davon gesagt hatte, dann nur, um zu verhindern, dass sich Laerte auf seine Art dazu einlud. Doch da hatte er die Rechnung ohne den Wirt gemacht.
Ein Jahr später läuteten die Glocken der Kathedrale von Masalia, und durch die Menschenmenge schlenderte ein Mann, dessen Gesicht vom Schatten seiner Kapuze verborgen wurde. Laerte bahnte sich unerkannt seinen Weg. Er war so diskret, wie er wütend war. Inmitten der kostümierten Gäste und unter den Augen der Wachsoldaten betrat er die Kathedrale. Sein zerrissenes Herz blutete.
Immer noch läuteten die Glocken. Auch weit entfernt im Haus waren sie zu hören. Viola kam es vor wie Totenglocken. Wenn sich Laerte vor der Nacht der Masken zu erkennen gab, wäre alles verloren.
12
DIE WAHL
Nein, ich habe nie gezweifelt.
Nie habe ich am Liaber Dest gezweifelt.
Aber es war schon seit Jahrhunderten
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