Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Unbekannten erzählst? Hast du dich wenigstens einmal gefragt, was diese Frau von dir wollte?«
Mildrel ging langsam zur Tür, ließ aber Duns nackten Rücken nicht aus den Augen. Eine breite Narbe zog sich über eines seiner Schulterblätter – das Andenken an eine lang zurückliegende Schlacht, einen Hieb mit einer Axt in jener Zeit, als er mit Leib und Seele für seine Vorstellung einer ruhmreichen Zivilisation gekämpft hatte. Wie sehr hatte sie es geliebt, diese Narbe unter ihren Fingern zu spüren!
»Sie ist Historikerin und kommt aus Emeris«, erklärte Dun und fuhr fort, sich zu waschen. »Sie wollte mit einem Soldaten des Kaiserreichs sprechen.«
»Und ist rein zufällig an dich geraten«, spottete Mildrel, während sie die Tür öffnete. »Falls du es vergessen haben solltest: In Masalia kommt es nicht gut an, wenn man den alten Zeiten nachweint. Zur Nacht der Masken sind viele Ratsherrn eingeladen.«
Sie wartete auf eine Antwort, doch Dun starrte nur stumm in die Schüssel. Die Republik, die Nacht der Mas ken, die heutige Welt – nichts davon war ihm mehr vertraut. Seit er in Masalia angekommen war, kümmerte er sich um nichts anderes mehr, als sein Glas immer gefüllt zu halten.
Mildrel ließ ihn allein. Erst als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte und ihre Schritte langsam verhallten, richtete sich Dun auf.
Er war ihr nicht böse. Sie machte sich seinetwegen Sorgen. Beunruhigend war nur, dass sie auch noch jedes Mal recht behielt. Er hatte dieser Viola viel zu viel anvertraut, ohne um ihre wahren Beweggründe zu wissen. Und zum ersten Mal hatte er auch tatsächlich die Wahrheit gesagt. Falls es stimmte, dass sie auf der Suche nach Eraëd war – würde sie sich mit einer Ablehnung begnügen? Oder würde sie drohen, ihn zu verraten? Interessierte der Name Dun-Cadal Daermon die erhabenen Räte der jungen Republik überhaupt noch?
Längst war er nun noch ein Schatten seiner selbst. Mit der Auflösung des Kaiserreichs war auch die Ritterschaft zerfallen. Niemand erinnerte sich mehr des Odems , und noch beklemmender erschien es Dun, dass offenbar niemand mehr an das Buch des Schicksals glaubte und die Götter immer öfter verleugnet wurden. O ja, die Zeiten hatten sich geändert. Sein schmerzender Körper erinnerte ihn jeden Tag daran. Vor allem sein rechtes Bein bereitete ihm große Qualen, gegen die nichts half. Er begegnete seinem eigenen Blick im Spiegel.
Azdeki! Mistkerl! Komm zurück!
Er spürte den Schmerz nicht nur körperlich. Die wahre Wunde verbarg sich tief in seinem Innern.
Azdeki!
Zurückgeblieben war eine Narbe, die schlimmste von allen. Man konnte sie nicht sehen, aber sie würde bis zum letzten Herzschlag qualvoll in ihm brennen.
Azdeki! Tomlinn!
Bis zu diesem Augenblick empfand er die Vorstellung, der Hauptmann könne ihn seinem Schicksal überlassen, als bloßes Gedankengespinst. Noch angeschlagen von seinem Sturz und dem Gewicht des toten Pferds auf seinem Bein, liefen seine Gedanken ziellos im Kreis. Er lag einfach nur da, im zähen Schlamm der Salinen. Seine Rufe hatten einen der Rouarg angelockt, der mit bluttriefendem Maul seine Witterung aufnahm.
»Komm nur«, murmelte Dun-Cadal.
Dank Adrenalin und plötzlichem Fieber spürte er kaum Schmerzen. Der Rouarg stürzte sich auf den Pferdekadaver. Starke Muskeln zuckten unter seiner mit grünen und schwarzen Stacheln übersäten Haut. Ohne das Tier aus den Augen zu lassen, wühlte Dun mit einer Hand im Schlamm und suchte nach seinem Schwert. Der Rouarg kniff die Augen zusammen, riss das riesige Maul auf und brüllte. Sein Atem stank entsetzlich. Vom Schweiß des verletzten Ritters angelockt, näherten sich nun auch die beiden anderen Tiere. Doch so tief Dun auch im Schlamm herumgrub – das Schwert blieb unauffindbar.
»Himmeldonnerwetter«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
Nun meldete sich allmählich auch der Schmerz. Unter dem Gewicht des toten Pferds und des Rouarg wurde das gebrochene Bein allmählich zermalmt. Wieder brüllte der Rouarg und reckte den Hals nach der Beute, die sich nicht befreien konnte. Das Schwert war verloren. Dun blieb nur noch ein Mittel, ehe der Schmerz ihn ohnmächtig werden ließ: Er atmete tief ein und legte die Hände auf sein von Schweiß und Schmutz verklebtes, schmerzverzerrtes Gesicht. Er musste mit seinem ganzen Sein der Welt lauschen, ihre Schwingungen spüren, mit der Luft verschmelzen und alles um sich herum wahrnehmen. Dinge erkennen, die unsichtbar waren. Langsam
Weitere Kostenlose Bücher