Der Pistoleiro: Die wahre Geschichte eines Auftragsmörders
Tresen.
Wortlos steckte die Frau das Geld ein. Júlio wunderte sich, dass der Offizier für die paar Minuten mit Cibele genauso viel zahlte wie er für ein Mittagessen in Xambioá. Was das Mädchen in dem stinkigen Zimmer mit ihm getrieben hatte, war schön gewesen, doch ein Essen war sicher mehr wert.
Carlos Marra wollte ihn noch in die anderen Häuser der Straße mitnehmen, doch Júlio ging lieber zurück in die Pension. Schlafen. Und Gott um Verzeihung bitten, dass er sich mit dieser Art Frau eingelassen hatte. Er fühlte sich schmutzig. Während Ritinha zu Hause auf ihn wartete, hatte er Sex mit einem Mädchen gehabt, das sich dafür bezahlen ließ. Dass es ihm gefallen hatte, und zwar sehr, war nicht zu leugnen. Aber er wollte es nie wieder tun. Als er einschlief, musste er an Cibele denken und daran, wie sie es wieder und wieder tat.
Die folgenden Tage verliefen alle gleichmäßig. Er stand früh auf, niemals später als sieben Uhr, aß zwei Käsebrote in der Bäckerei um die Ecke, trank dazu Coca Cola und ging dann auf die Polizeistation, wo Carlos Marra ihm Anweisungen für den Tag gab, seit drei Wochen nichts anderes, als sich im Militärlager zu melden und auf weitere Anweisungen zu warten. Eines Morgens teilte ihm Marra mit, dass sie in zwei oder drei Tagen zu einer weiteren Operation gegen die Guerilleros in den Wäldern des Araguaia aufbrechen würden. Und, dass er eine Nachricht von Cícero erhalten hatte.
»Er lässt ausrichten, dass er dich Ende des Monats besuchen kommt«, sagte der Offizier.
»Das wurde aber auch Zeit. Ich habe meinen Onkel schon fast seit einem Monat nicht mehr gesehen«, antwortete der Junge.
Am 10. Mai verließen Carlos Marra, Júlio, Emanuel und Forel die Stadt Xambioá. Sechs Tage lang durchkämmten sie den Urwald auf der Suche nach Kommunisten. Sie erwischten keinen der Revolutionäre, trotzdem war der Offizier zufrieden, sie hatten mit vielen Bewohnern der Gegend Kontakt aufgenommen. In jedem Haus, auf das sie unterwegs stießen, hatte Marra Kleidung, Werkzeuge und Medikamente verteilt und gleichzeitig gedroht, dass jeder, der nicht mit dem Militär kooperiere, festgenommen und gefoltert würde.
»Ich bin sicher, dass sie sofort Bescheid sagen werden, wenn sie Kommunisten in der Gegend sehen«, sagte der Offizier, als sie nach Xambioá zurückkehrten.
Zwei Tage später saß Júlio in der Polizeistation und wartete auf Anweisungen von Carlos Marra, als vier Soldaten mit einem Gefangenen hereinkamen, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen. Es war am Nachmittag des 18. Mai, der Gefangene war der Bootsmann Lourival Moura, ein Mann mit brauner Haut und dunklem, krausem Haar, um die vierzig Jahre und ungefähr einen Meter siebzig groß. Ein Soldat beschuldigte den Gefangenen, mit den Guerilleros zusammenzuarbeiten. Der Bootsmann wies das zurück, noch nie habe er einem Kommunisten geholfen. Daraufhin rammte ihm einer der Soldaten die Faust in den Magen.
»Wirf das Schwein in die Zelle, Delegado. Wir kommen später wieder, um ihn zum Sprechen zu bringen«, sagte der Kommandant.
»Selbstverständlich Leutnant. So sind diese Leute immer. Erst sagen sie, dass sie nichts gemacht haben, aber nach kurzer Zeit sprechen sie dann«, antwortete Marra.
Júlio sei von nun an für die Bewachung des Gefangenen zuständig, fuhr er fort. Er müsse nur auf dem Posten bleiben, wenn seine Leute nicht da seien, auch – und vor allem – nachts. Er müsse also auch in der Polizeistation schlafen. Aus dem Gespräch des Offiziers mit einem der Soldaten erfuhr Júlio, dass Lourival festgenommen worden war, weil man ihn beschuldigte, die Rebellen mit Vorräten und Munition versorgt und ihnen sogar sein Boot zur Verfügung gestellt zu haben. Der Bootsmann wurde in die vier mal vier Meter große Zelle geworfen, die gerade leer stand.
In der Nacht darauf, Júlio war alleine in der Polizeistation, kamen die drei Soldaten, um den Gefangenen zu verhören. Marra hatte ihm gesagt, dass er eine Runde durch Vietnam drehen und später noch einmal hereinschauen wolle, um nach dem Rechten zu sehen. Júlio gab einem der Soldaten den Zellenschlüssel und wartete dann in der Tür der Polizeistation. Einige Minuten später hörte er Schreie, die immer durchdringender wurden. Er überlegte, ob er hineingehen solle, um nachzusehen, was los war. Doch dann blieb er lieber, wo er war. Damit hatte er nichts zu tun. Sein Auftrag lautete nur, anwesend zu sein, solange Marra nicht hier war.
Eine Stunde später
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