Der Poliziotto tappt im Dunkeln (German Edition)
plagte ihn mit jedem Schritt mehr. Warum eigentlich? Malpomena war eine äußerst attraktive Frau, daran konnte es nicht liegen. Sie roch gut und hatte eine Figur, um die sie viele Frauen beneideten, mit 1,70 Meter war sie vergleichsweise groß, und ihre Proportionen würden andere als ideal beschreiben. Außerdem hatte sie diese Grandezza, wie sie nur der Adel hervorbrachte, diese tief verwurzelte Gewissheit, bedeutsam und unabhängig zu sein. Hinzu kamen ihre edlen, etruskischen Gesichtszüge und diese ruhige Altstimme, mit der sie sich deutlich von dem allgemeinen hochfrequenten Geschnatter vieler italienischer Frauen absetzte. Und selbst die tiefe, allumfassende Verzweiflung, in die sie innerhalb von Sekunden stürzen konnte, war irgendwie attraktiv. Wenn man davon absah, dass sie, einmal verzweifelt und deprimiert, so schnell nicht mehr in irgendeine Normalität zurückkehrte. Wobei Normalität bei ihr ein Zustand war, den andere schon als lädiert bezeichnen würden.
Mit jedem Schritt war Roberto um eine Spur langsamer geworden. Schauer fluteten über seine Haut, er fror trotz seiner Daunenjacke, ein Frieren, gegen das keine Jacke dieser Welt helfen konnte. Außerdem waren seine Hände feucht geworden, eine Art von Schweiß, die sich zwar abwaschen, aber nicht zum Verschwinden bringen lassen würde. Und sein linkes Auge zuckte immer mehr, je näher er Malpomenas Wohnung kam. Irgendwann war es so heftig, dass er einen Zeigefinger dauerhaft in seinen äußeren Augenwinkel pressen musste. Ausgerechnet das linke! Links bedeutete Unglück und Niedergang.
Er klingelte und trat ein paar Schritte zurück, um die Schlüssel aufzufangen. Ihren Türöffner würde Malpomena auch in hundert Jahren nicht reparieren lassen. Sie erschien oben auf ihrer Terrasse und warf, ohne ein Wort zu sagen, den in Zeitungspapier eingewickelten Schlüssel herunter, allerdings anders als sonst, nicht in einem sanften Bogen, sondern scharf gepfeffert wie einen Baseball.
«Hast du den Prosecco dabei?» waren ihre ersten Worte, als Roberto die letzte Stufe der schmalen Treppe genommen und sie die Wohnungstür mit einem Ruck aufgerissen hatte.
«Habe ich, ja.» Er zog die Flasche aus seiner Umhängetasche und hielt sie ihr hin.
«Jetzt komm doch erst mal rein», fuhr sie ihn an.
Madonna , war sie nervös! Er schob sich an ihr vorbei, durch eine gewaltige Duftwolke hindurch. Obwohl er es vermied, sie anzusehen, registrierte er doch aus dem Augenwinkel heraus, dass sie einen hautengen Satinhausanzug trug, der mehr als deutlich machte, dass sie darunter nackt war. Oddio , dachte er. Wieso hatte er sich bloß auf so einen Schwachsinn eingelassen? Wieso konnte sie sich nicht einfach einen Liebhaber nehmen, mit dem sie die Ahnenreihe der Del Vecchio vor dem Versanden rettete?
Malpomena räusperte sich und zwang ein Lächeln in ihr zutiefst ernstes Gesicht. «Nun, wie geht es dir, Roberto?»
Gut, wollte Roberto sagen, aber heraus kam nur ein Krächzen.
«Bist du erkältet?» Malpomena sah ihn vorwurfsvoll an. «Doch nicht etwa Fieber?» Sie streckte ihre Hand aus, um seine Stirn zu befühlen. «Und was machst du da mit dem Finger in deinem Auge?»
«Nichts», antwortete Roberto, nachdem er sich einige Male geräuspert hatte. Er zog seinen Finger zurück. Sofort ging das Zucken wieder los, was Malpomena sogleich bemerkte. Vorsichtig streckte sie ihren Zeigefinger aus und übte ihrerseits ein wenig Druck auf seinen äußeren Augenwinkel aus. Merkwürdigerweise wurde das Zucken jetzt noch stärker.
«Meistens zuckt der sogenannte Lidheber», dozierte Malpomena, «das ist der Muskel des Oberlids, der das Auge öffnet. Manchmal aber auch der Augenringmuskel. Grund sind in der Regel Störungen im Salz- und Wasserhaushalt, also Mineralmangel, ausgelöst durch körperliche Anstrengung, starkes Schwitzen, Durchfall oder Schwangerschaft.» Jetzt zuckte auch Malpomenas rechtes Auge einige Male. «Aber selbst wenn genügend Mineralien im Körper vorhanden sind, erhalten Muskeln und Nerven nicht immer ausreichend viel davon. Oder nimm das in billigen Kinofilmen oft zitierte Hyperventilieren, das zu schnelle Atmen auf Grund von Übererregtheit, Angst oder Panik, dessen man mittels des Hineinatmens in eine Plastiktüte Herr werden kann. Auch eine Schilddrüsenüberfunktion hat einen ähnlichen Effekt, mit der Folge eines erhöhten Adrenalinspiegels. Bekanntlich fördert ja das Stresshormon Adrenalin die Bereitschaft der Muskeln, sich zusammenzuziehen. Da
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