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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Welches Krankenhaus ihn mit dieser Versicherung nehmen würde und ob er etwas davon hätte, dann musste ihnen wohl jemand ein bisschen Bargeld gegeben haben, damit sie überhaupt fuhren. Ins Krankenhaus zu fahren, bedeutete zwanzig Grivna für jede Begegnung hinzulegen. An der Aufnahme, im Röntgenraum, beim Arzt, der die Untersuchung machte, bei dem, der ihn nähte, bei dem, der ihm die Tetanusspritze gegeben haben musste. Er wollte sich wieder drehen, mochte aber den Kopf nicht heben. Zu gerne hätte er nachgesehen, ob sein Portemonnaie noch da war. Jemand von den anderen Mitarbeitern wird ja wohl, so nahm er an, mitgefahren sein, um diese Bürde der Geldscheinumverteilung zu übernehmen. Gut, dass er gerade viele Zwanziger in seiner Geldbörse hatte, denn sie würden nicht herausgeben. Wenn man sie fragte. Sie konnten nie herausgeben. Wechselgeld gab es nicht. Wenn man nur einen Hunderter hatte, dann hätte der Erste ihn genommen und für die anderen wäre nichts geblieben. Dann hätte man ihn vielleicht nicht einmal genäht. Es war still im Zimmer. Hier waren mindestens zehn Betten und außer seinem waren sie alle leer. Vielleicht war auch seines leer, dachte er einen Moment, stellte aber fest, dass er Schmerzen hatte, demzufolge lag er wohl tatsächlich in diesem Bett, außerdem konnte er nicht gestorben sein. Er hatte sein Monatsgehalt noch nicht bekommen. Man kann nicht sterben, wenn man noch nicht bezahlt wurde – das wusste jeder. Womit sollte man denn sonst Gevatterin Tod schmieren? Warum sollte die einen nehmen, ohne Geld? Die Maršrutkafahrer verlangen auch ihre zwei Grivna fünfzig und sind zornig, wenn man’s nicht genau hat, und seien sie noch so beschäftigt mit Kaffeetrinken und Telefonieren während der Fahrt. Wenn man sein Gehalt noch nicht bekommen hatte, war es billiger, weiterzuleben, denn die waren gewiss teurer als das Krankenhaus. Draußen vor der Tür diskutierte ein Amerikanjec mit einer Krankenschwester. Sie wollten seine Versicherung nicht nehmen, eine Reiseversicherung, die auch in der Ukraine Gültigkeit habe, behauptete er mit derbem Akzent, die »r« nicht richtig sprechend. Vielleicht hätte sie Gültigkeit, aber dafür würde sich hier niemand interessieren, denn es würde bedeuten, viel Papierkram auszufüllen. Mehr Arbeit für weniger Geld. Er würde bezahlen müssen, wie alle anderen auch. Durch die Glastür konnte er ihn sehen. Vermutlich machte er gerade ein Gesicht, als wäre er auf Zeitreise. Stanislav wusste, dass die ukrainischen Krankenhäuser nicht viel Ähnlichkeit hatten mit jenen, die man im Fernsehen in den amerikanischen Serien zu sehen bekam. Außer vielleicht die jüdischen, wie sie früher waren, nicht wie sie heute waren, wo sie nicht mehr »jüdisch« hießen, aber immer noch so genannt wurden. Heute waren sie ebenso übel wie alle anderen, oder vielleicht übler. In so eines war er gefahren, nachdem ihm alles immer noch weh getan hatte, als er das städtische Krankenhaus verlassen hatte, in dem sein Bein eingegipst worden war. Auch ein nächtlicher Krankenhausbesuch, ein nächtlicher Unfall. Sie hatten ihn gefragt, ob er sich den Gips selbst angelegt habe. Besser war es, wie immer, nicht krank zu werden. Für die Aidskranken war es natürlich etwas schwieriger. Da stand dann – und er wusste es schließlich ganz genau – auf dem Totenschein meistens Tuberkulose. Diese schwindsüchtigen ukrainischen Städte haben sich in die Schwindsucht hineingebumst. Er hatte genug von Krankenhäusern. Die Haut um die Wunden spannte. Stanislav bedauerte, dass es im Krankenzimmer dunkel war, denn er hätte gerne gesehen, ob man ihm dieses grüne Desinfektionsmittel dick über die Nähte geschmiert hatte. Dann erst fiel ihm ein, dass er ohne einen Spiegel zu suchen sein Gesicht ohnehin nicht sehen konnte, und seinen Hals. Er hätte aufstehen müssen, doch er kam sich vor wie ein Säugling, der Schwierigkeiten hatte, seinen Kopf selbst zu halten. Die dunkelgrüne Substanz war ihm stets als eine Art Allheilmittel erschienen. Gegen alle Arten von Wunden. Es hielt die Haut zusammen. Aber vielleicht irrte er auch. Sein Bruder, der in den Westen gegangen war, hatte behauptet, dass in der Europäischen Sojuz auch das, was sie früher als Allheilmittel gegen alle Fieberkrankheiten betrachtet hatten, nicht verkauft würde. Amixin, das Zauberding. Man hatte nur im Laufe von achtundvierzig Stunden drei der großen grellen pinken Tabletten zu nehmen und es tötete jeden Virus, ohne ein

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