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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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hoffentlich nicht zu jenen Männern gehören, die ihr etwas antun würden.
    Manche Krankheiten werden aus Liebe gemacht, dachte Irina, entzünden sich selbst. Sie würde diese Person in Ordnung bringen. Sie kam näher, fasste ihn an der Schulter, und diese leichte Berührung brachte ihn bereits so aus dem Gleichgewicht, dass er hinfiel, hingefallen wäre, doch sie fing ihn auf. Der Geruch, den er verströmte, war eigenwillig, chemisch und süßlich, wie Verwesung oder Frauendeodorant, und ließ sie einen kurzen Moment glauben, dass das Anatol Grigorjevič sein musste, dessen Geruch sie nicht kannte, doch dieser schien ihr plausibel. Sie würde nachprüfen müssen, wer er war, und fragte, ihn stützend, als sie ihn in Richtung ihrer Wohnung führte, was er denn arbeiten würde, und er entgegnete, dass er nicht arbeite, und sie fragte weiter, was der denn früher gearbeitet habe, erst nun bemerkend, dass sie nie erfahren hatte, solange sie in diesem Hof lebte, welcher Profession Anatol Grigorjevič eigentlich nachging, und er antwortete: »Ich habe Narben gesammelt.« Denn er erinnerte sich wieder einmal nicht an das richtige Wort, diesmal aber ohne es zu bemerken, sonst hätte er vielleicht eine wahrscheinlichere Antwort gegeben, etwa dass er Schuhe verkauft hatte, und vielleicht hatte er das getan, überlegte Irina, Schuhe verkauft, wie sie es eben am Flohmarkt getan hatte. Anatol begriff, dass es kein Nachhause gab, in das er gehen konnte, aber ihm dämmerte langsam, dass die Frau, die ihn am Arm stützte, eine Bekannte sein könnte, und dass es nur kein Nachhause gab, ohne mit ihr zu gehen. »Wissen Sie, ich bin tot«, presste er hervor, seine Lippe war bereits angeschwollen und Irina war nicht sicher, ob sie sich verhört hatte, aber wie sicher konnte man schon sein? Sie erinnerte sich an das Märchen mit der Bärenprinzessin, das der Vater häufig erzählt hatte: Ein Prinz geht verloren im Wald auf der Bärenjagd und die Prinzessin beginnt ihn zu suchen, gerät in eine Bärenhöhle, doch der Bär tut ihr kein Leid an, jedoch liegt der Umhang des Prinzen in der Höhle, also bindet sie dem Bären den Umhang um, nimmt ihn an die Leine und zieht los, um jemanden zu suchen, der ihren Prinzen, der offenbar in einen Bären verwandelt worden war, wieder zum Prinzen machen konnte. Aber woher war die Prinzessin so sicher, dass es nicht einfach ein Bär war, der ihren Prinzen getötet und verspeist hatte? Viel Glück bei der Verwandlung konnte sie dann wohl nicht gehabt haben, wenn man all dies einigermaßen vernünftig betrachtete. Der Vater erzählte das Märchen manchmal so, dass der Bär zum Prinzen wurde und manchmal so, dass er die Prinzessin fraß. Wahrscheinlicher war, dass dieser Mann nicht Anatol war. Aber sollte er es doch sein, war sie nun die Prinzessin und würde ihn, bis sie sicher war, dass er es nicht war, nicht aus den Augen lassen, in seiner Nähe bleiben, wie eine Hündin, und falls er es sein sollte, ihn bewachen, damit er nur nicht ohne sie sterben konnte.

XXI
    Ты не можешь здесь спать,
Ты не хочешь здесь жить.
Доброе утро, последний герой!
Доброе утро тебе и таким, как ты.
    Виктор Цой
    Wie konnte es so schnell so finster geworden sein? Wir haben doch Sommer, wir haben doch Tag und die Tage sollten lang sein, oder hatte er so viel des Tages verpasst, war er so lange weg gewesen? Ein Wahnsinniger! Ein Wahnsinniger, der ihn gebissen hatte. Sein Ohr pulsierte, oder was von seinem Ohr noch übrig war, und ebenso die Wunde am Hals. Man würde es hässlich und grob vernäht haben, es würde eine grauenhafte Narbe geben. Stanislav drehte sich in seinem Krankenhausbett ein Stück weit nach links. Er lag unbequem. Hoffentlich würde man ihn bald entlassen. Ein Krankenhausaufenthalt war viel zu teuer, das hatte gerade noch gefehlt. Er hatte den Rest des Tages verpasst, kein Wunder, war er doch ohnmächtig gewesen. Vermutlich hatte es lange gebraucht, nahm er an, bis die Rettung kam. Als er sich dereinst den Kopf angeschlagen hatte, hatte die Rettung vom Krankenhaus zu seiner Wohnung eine dreiviertel Stunde gebraucht, obwohl das Krankenhaus nur ein Quartal entfernt lag. Dann hatten sie vermutlich noch eine Weile diskutiert, die Sanitäter, wo sie mit ihm hinfahren könnten, in welches Krankenhaus, weiße Tücher auf die Wunden drückend, sie waren schließlich da, um einzusammeln und nicht, um zusammenzuflicken.

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