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Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition)

Titel: Der potemkinsche Hund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordula Simon
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Antibiotikum zu sein. Bis ihm der Bruder sagte, dass es nicht verkauft würde – wegen Wirkungslosigkeit. Seither hatte er immer länger an Krankheiten gelitten als früher, denn wann immer er Amixin genommen hatte, hatte er zugleich befürchtet, dass die Wirkung ausblieb. Und dafür konnte es nur zwei Gründe geben: Dass es tatsächlich nicht wirkte oder dass er Schweinegrippe hatte. Eine Angst, die seit dem Epidemiewinter immer wiederkehrte. Keine schöne Erinnerung, wie sie alle nur mehr mit Masken auf die Straße gingen und ihm auch die Glaswand im Amt so schrecklich nutzlos vorgekommen war. Er hatte damals auch geglaubt, dass er Frau Tod persönlich begegnet wäre. Er hatte sich zum Fenster gedreht, hinter seinem Schalter, um ein paar Akten einzuordnen, und als er sich wieder umdrehte, hatte da eine Frau im grünen Wintermantel gestanden, aber die Brüste waren auch so noch erkennbar, selbst wenn der Mantel dick war, und sie trug eine Gasmaske. Eine grüne alte aus dem Ersten Weltkrieg. Hätte sie sich nicht sogleich für ihre Erscheinung entschuldigt und erklärt, dass sie keine Maske mehr bekommen habe, die Apotheken alle Masken ausverkauft hätten und sie nur noch das alte Ding habe, er hätte sich zu Tode fürchten können.
    Der Amerikaner am Korridor hatte angefangen, auf Englisch herumzubrüllen, die Krankenschwester verstand offenbar kein Englisch, drehte sich um und ließ ihn zurück. Er wirkte nicht, als ob ihm tatsächlich etwas fehlte. Die Zeitreisen kann man eben nicht planen, so etwas passiert einfach. Sein Bruder hatte Deutsch und Englisch gelernt und die Wirtschaft studiert. Man könne die Wirtschaft nicht retten, hatte er immer gesagt, man könne sie nur studieren und hinter sich lassen, in den Westen gehen, und dann müsse man nicht mehr durch vom Wind zerschlagene Glasfenster auf die Straße schauen, wie in der elterlichen Wohnung. Dort war er nun Importware, die Bezahlung in europäischer Münze verdiente. Er behauptete stets, dass die Standards dort andere waren, die gesundheitlichen, und nicht Seelen und Körper mit Vodka repariert wurden. Aber der Vodka hatte sich immerhin bewährt, besser als die großen pinken Tabletten, die die westliche Welt als wirkungslos abtat. Wie konnten sie wirkungslos sein? Schließlich waren sie groß und pink. Auch der Amerikanjec vor der Tür war nun verschwunden. Wo war nur seine Geldtasche?, fragte sich Stanislav, er würde sie brauchen, wenn jemand käme, auch wenn es erst in der Früh wäre. Jemand, der sich weiter um ihn und seine Wunden kümmern würde. Wobei er ahnungslos war, wie spät es gerade sein konnte. Wie lange er wohl außer Betrieb gewesen war? Hals und Kopf waren schlechte Plätze für Wunden, man konnte sie nicht betrachten, auch ein Hund könnte sie sich nicht selber lecken. Er wusste nicht einmal, ob man ihm Hals und Ohr mit Verbandsmaterial verklebt hatte, er wagte nicht hinzufassen, und schon das leichte Anheben des Armes zog entsetzlich im Hals und brachte die Wunde wieder stärker zum Pulsieren. Er hätte ja gerne jemanden gerufen, ihm noch etwas gegen die Schmerzen, für den Schlaf zu geben, aber er würde dafür bezahlen müssen, und wo um Himmels willen war sein Portemonnaie? Er hatte es in der Hosentasche gehabt, aber jemand, einer seiner Kollegen, musste es herausgenommen haben, um die Angelegenheiten zu regeln. Und selbst wenn die Kollegen es in die Hosentasche zurückgesteckt hätten, wusste er nicht, wo sich seine Kleidung befand und er hoffte doch, dass man sein Portemonnaie nicht in der Hose gelassen hatte, um die Hose dann ohne Aufsicht zu lassen. Er misstraute dem Krankenhauspersonal. Es verdiente zu wenig, um vertrauenswürdig zu sein. Die Räume waren still, keine Schritte am Korridor und wenn, waren sie zu weit entfernt, um sagen zu können, dass es tatsächlich Schritte waren. Gespenstisch kam es Stanislav vor. Plötzlich hörte er das aufgeregte Kreischen einer Katze und ein Kläffen. Ein dunkles Kläffen. Eine finstere, zerkaute Hundestimme, es musste ein großer Hund sein. Stanislav malte sich aus, wie ein großes, dreckiges Vieh mit leuchtenden Augen ein kleines dreifarbiges niedliches Kätzchen durch die Gänge jagte, krallte sich dabei intuitiv an der weißen Decke seines Bettes fest. Nicht dass der Hund sie hier hereinjagte, der Hund die Katze in diesen Raum trieb und sie hier durchtobten, Stanislav mit mehr Verletzungen im Zimmer hinterlassend, als er eingeliefert worden war. Dann war es wieder still und im

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