Der Präsident
ausdruckslosem, zerfurchtem Gesicht, daneben der schwergewichtige Herbert Sanderson Lord.
Collin rückte ein wenig näher an die Schar der Reporter, die an den Stufen des Gerichtsgebäudes drängten und Position bezogen wie Basketballspieler, die abwarteten, ob der Freiwurf sich in den Korb senkte oder davon abprallte. Er hatte die Wohnung der Stabschefin um drei Uhr morgens verlassen. Was für eine Nacht! Was für eine Woche! Im öffentlichen Leben wirkte Gloria Russell unbeugsam und gefühllos, doch Collin hatte eine andere Seite der Frau kennengelernt. Noch immer empfand er es wie einen arglosen Tagtraum, dass er mit der Stabschefin des Präsidenten geschlafen hatte. So etwas durfte einfach nicht geschehen. Doch es war geschehen. Und es sollte sich wiederholen. Sie hatten vereinbart, sich heute Abend zu treffen. Vorsicht war geboten, doch sie waren beide von Natur aus vorsichtig. Wohin das Ganze führen sollte, wusste Collin nicht.
Er war in Lawrence, Kansas, aufgewachsen und von den traditionellen Werten des Mittelwestens geprägt worden. Man ging miteinander aus, verliebte sich, heiratete und zeugte vier oder fünf Kinder, genau in dieser Reihenfolge. Das konnte er sich in diesem Fall kaum vorstellen. Fest stand, dass er sie wiedersehen wollte. Er schaute zu ihr hinauf und betrachtete sie einen Augenblick; sie stand links hinter dem Präsidenten. Sanft wehte der Wind durch ihr Haar. Russell trug eine Sonnenbrille und schien alles um sich herum fest im Griff zu haben.
Burton beobachtete die Menschenmenge, warf dann kurz einen Blick zu seinem Partner, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie dessen Augen kurz auf der Stabschefin verweilten. Burton runzelte die Stirn. Collin war ein guter Agent, der seinen Beruf geradezu mit Übereifer ausübte, ein Wesenszug, der sich in ihrer Branche durchaus nicht nachteilig auswirkte. Aber man ließ die Augen auf der Menschenmenge, nur dort. Was ging hier vor sich? Burton schielte aus den Augenwinkeln zu Russell, doch sie blickte starr geradeaus und schenkte dem Mann, der zu ihrem Schutz abgestellt war, anscheinend keine Beachtung. Burton schaute zurück zu Collin. Nun ließ der Junge den Blick über die Menge schweifen, wobei er den Rhythmus ständig änderte; von links nach rechts, von rechts nach links, inzwischen wieder nach oben, unverhofft geradeaus. Es gab kein erkennbares Muster, auf das sich ein möglicher Attentäter verlassen konnte. Doch Burton ging der Blick nicht aus dem Sinn, mit dem Collin die Stabschefin bedacht hatte. Hinter der Sonnenbrille hatte Burton etwas gesehen, das ihm nicht behagte.
Alan Richmond beendete seine Ansprache, indem er mit ausdrucksloser Miene in den wolkenlosen Himmel starrte, während der Wind durch sein perfekt gestyltes Haar blies. Er schien Gott um Hilfe anzuflehen, doch in Wirklichkeit versuchte er, sich daran zu erinnern, ob er den japanischen Botschafter heute Nachmittag um zwei oder drei Uhr empfing. Aber der abwesende, beinahe überirdische Blick würde sich in den Abendnachrichten gut machen.
Im richtigen Augenblick kam er wieder zu sich, wandte sich Walter Sullivan zu und versah den trauernden Witwer mit einer Umarmung, wie es einem Mann von dessen Stand geziemte.
»Es tut mir so leid, Walter. Mein tiefempfundenes Beileid. Wenn ich irgendetwas für dich tun kann, dann lass es mich wissen. Du weißt, ich bin immer für dich da.«
Sullivan ergriff die ihm dargebotene Hand. Seine Beine begannen zu zittern; unsichtbar für die Öffentlichkeit stützten ihn kräftige Arme aus seiner Gefolgschaft.
»Danke, Mr. President.«
»Alan, bitte. Wir reden hier von Freund zu Freund, Walter.«
»Danke, Alan. Du weißt gar nicht, wie sehr ich zu schätzen weiß, dass du dir die Zeit hierfür genommen hast. Christy wäre so bewegt von deinen heutigen Worten gewesen.«
Nur Gloria Russell, die das Paar aufmerksam beobachtete, bemerkte den leichten Ansatz eines Lächelns um die Mundwinkel ihres Chefs. Dann, nur ein Augenzwinkern später, war es wieder verschwunden.
»Ich weiß, dass es keine Worte gibt, die dem gerecht werden, was du empfinden musst, Walter. Immer öfter scheint auf der Welt etwas völlig ohne Grund zu geschehen. Wäre Christine nicht krank geworden, sie wäre mitgeflogen, und die Tragödie hätte sich nie ereignet. Ich kann nicht erklären, warum solche Dinge passieren, niemand kann das. Aber du sollst wissen, dass du auf mich zählen kannst, wenn du mich brauchst. Immer und überall. Wir haben so viel gemeinsam
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