Der Prediger von Fjällbacka
protestierte er nie, wenn sich Gösta ein paar Stunden davonmachte, um ein paar Eimer Bälle zu schlagen.
Im nächsten Augenblick sah er das Foto von Jenny Möller vor sich, und das schlechte Gewissen meldete sich. In einem kurzen Moment der Klarsicht begriff er, was für ein bitterer alter Kerl er geworden war, seinem Vater auf dessen alte Tage erschreckend ähnlich, und wenn er so weitermachte, würde er früher oder später genau wie sein Erzeuger einsam im Altersheim hocken und über eingebildete Kränkungen klagen. Obendrein noch ohne eigene Kinder, die hin und wieder pflichtschuldigst vorbeischauten.
»Was glaubst du, ist Jacob dort?« fragte er, um seine unangenehmen Gedanken zu verjagen.
Martin überlegte, dann sagte er: »Nein, jedenfalls würde mich das mächtig wundern. Aber eine Kontrolle ist die Sache wert.«
Sie bogen auf den Vorplatz ein und waren erneut erstaunt über das idyllische Bild, das sich ihnen darbot. Der Hof schien ständig in sanftes Sonnenlicht getaucht, was die rostrote Farbe im schönen Kontrast zu dem blauen See hinterm Haus aufleuchten ließ. Wie beim letztenmal liefen junge Leute zielbewußt umher, emsig beschäftigt mit ihrem Tun. Worte, die Martin dafür einfielen, waren sauber und gesund, nützlich, prächtig und schwedisch, und die Kombination dieser Worte löste bei ihm leichtes Unbehagen aus. Die Erfahrung sagte ihm, wenn etwas allzu gut aussah, dann war es vermutlich .
»Ein bißchen Hitlerjugend, das Ganze, oder?« sagte Gösta und kleidete Martins Unbehagen in Worte.
»Na ja, vielleicht. Aber das ist wohl ein etwas zu starkes Wort. Sei nicht zu freigebig mit solchen Kommentaren«, entgegnete Martin nüchtern.
Gösta setzte eine beleidigte Miene auf. »Entschuldige«, sagte er übellaunig. »Ich wußte nicht, daß du Zensor bist. Übrigens würden sie ja wohl nicht so jemanden wie Kennedy hier aufnehmen, wenn es ein verdammtes Nazilager wäre.«
Martin ignorierte die Bemerkung und ging auf die Haustür zu. Eine der Betreuerinnen des Hofes öffnete. »Ja, was wollt ihr?«
Jacobs Groll gegen die Polizei hatte offenbar abgefärbt.
»Wir suchen Jacob.« Gösta war noch immer beleidigt, also übernahm Martin das Kommando.
»Er ist nicht hier. Versucht es bei ihm zu Hause.«
»Bist du sicher, daß er nicht hier ist? Wir würden uns gern selber überzeugen.«
Widerwillig wich die Frau zur Seite und ließ die beiden Polizisten ein. »Kennedy, die Polizei ist wieder hier. Sie wollen Jacobs Büro sehen.«
»Wir finden den Weg«, sagte Martin.
Die Frau beachtete ihn nicht. Mit raschen Schritten kam Kennedy auf sie zu. Martin fragte sich, ob er hier als so was wie ein ständiger Fremdenführer diente. Oder vielleicht machte es ihm einfach nur Spaß, Leuten behilflich zu sein.
Schweigend ging er auf dem Korridor vor ihnen her bis zu Jacobs Büro. Sie bedankten sich höflich und öffneten erwartungsvoll die Tür. Keine Spur von Jacob. Sie traten ein und schauten sich gründlich nach eventuellen Spuren um, die verraten könnten, ob Jacob die Nacht hier verbracht hatte, eine Decke auf dem Sofa, ein Wecker, irgend etwas. Aber da war nichts. Enttäuscht gingen sie wieder nach draußen. Kennedy wartete in aller Ruhe. Er hob die Hand, um sich die Haare aus den Augen zu streichen, und Martin sah, daß sein Blick schwarz und unergründlich war.
»Nichts, verdammt noch mal. Kein Fatz«, sagte Martin, als das Auto wieder in Richtung Tanumshede rollte.
»Nein«, erwiderte Gösta kurz angebunden. Martin verdrehte die Augen. Offensichtlich war er immer noch sauer. Nun ja, dann sollte er es eben sein.
Göstas Gedanken waren mit etwas ganz anderem beschäftigt. Er hatte bei dem Besuch auf dem Hof irgend etwas gesehen, aber die Sache entwischte ihm ständig. Er versuchte, nicht daran zu denken, damit sein Unterbewußtsein frei arbeiten konnte, aber das war genauso unmöglich, wie ein Sandkorn zu ignorieren, das unter dem Augenlid festsaß. Er hatte etwas gesehen, an das er sich erinnern müßte.
»Wie ist es gelaufen, Annika? Hast du was gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. Patriks Aussehen beunruhigte sie. Zuwenig Schlaf, zuwenig vernünftiges Essen und zuviel Streß hatten das letzte bißchen seiner Sonnenbräune verschwinden lassen. Sein Körper schien unter einer gewaltigen Last zusammenzusacken, und man mußte kein Genie sein, um sich auszurechnen, worin diese Last bestand. Sie wollte ihm sagen, daß er Arbeit und Privatleben trennen müsse, aber verkniff sich den
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