Der Prediger von Fjällbacka
später. Im Unterschied zu Siv verschwand sie am hellen Nachmittag. Sie verließ ihr Elternhaus gegen drei, um zu joggen, und kam nie wieder heim. Einer ihrer Sportschuhe wurde an ihrer üblichen Laufstrecke gefunden, sonst aber nichts.«
»Gab es irgendwelche Ähnlichkeiten zwischen den Mädchen? Also außer daß sie Mädchen waren und ungefähr im selben Alter?«
Patrik konnte nicht anders, als leise zu lächeln. »Hast so einige Profiler-Sendungen gesehen, wie ich merke. Leider muß ich dich enttäuschen. Wenn wir es mit einem Serienmörder zu tun haben, und ich vermute, darauf bist du aus, so gibt es jedenfalls keine offensichtlichen äußeren Ähnlichkeiten zwischen den Mädchen.« Er befestigte zwei Schwarzweißfotos an der Tafel.
»Siv war neunzehn Jahre alt. Klein, dunkel und kurvenreich. Sie hatte den Ruf, ziemlich schwierig zu sein, und sorgte wohl für so was wie einen Skandal in Fjällbacka, als sie im Alter von siebzehn Jahren ein Kind bekam. Sowohl sie als auch das Kind lebten bei ihrer Mutter, aber nach dem, was die Zeitungen behaupten, war Siv nicht sonderlich begeistert davon, zu Hause zu sitzen, sondern machte gern einen drauf. Mona hingegen wird als richtiges Familienmädchen beschrieben, brachte gute Leistungen in der Schule, hatte viele Freunde und war ganz allgemein beliebt. Sie war hochgewachsen, blond und trieb viel Sport. Achtzehn Jahre alt, aber wohnte noch immer zu Hause, da ihre Mutter kränkelte und ihr Vater sie nicht allein versorgen konnte. Niemand schien etwas Schlechtes über sie zu sagen zu haben. Also das einzige, was diese Mädchen gemeinsam haben, ist, daß sie vor über zwanzig Jahren spurlos von der Erdoberfläche verschwanden und dann als Skelett wieder in der Königsschlucht auftauchten.«
Nachdenklich stützte Martin den Kopf in die Hand. Patrik und er saßen ein Weilchen schweigend da und studierten die Zeitungsausschnitte und Notizen auf der Tafel. Wie jung die Mädchen doch aussahen. Sie hätten noch so viele Lebensjahre vor sich gehabt, wenn ihnen nicht etwas Böses begegnet wäre. Und dann Tanja, von der sie noch kein Foto besaßen, das sie vor ihrem Tod zeigte. Auch sie ein junges Mädchen mit einem Leben vor sich, dem die Zukunft offengestanden hatte. Aber nun war auch sie tot.
»Es wurde massive Verhörarbeit geleistet.« Patrik nahm ein dickes Bündel maschinenbeschriebenen Papiers aus dem Ordner. »Freunde und die Familien der Mädchen wurden befragt. Man ging in dem entsprechenden Gebiet von Tür zu Tür, und die üblichen Strolche hat man sich ebenfalls vorgenommen. Insgesamt wurden, soviel ich sehen kann, rund hundert Verhöre durchgeführt.«
»Hat es was ergeben?«
»Nein, nichts. Erst mit dem Tip von Gabriel Hult hatte man etwas in der Hand. Er rief persönlich bei der Polizei an und erzählte, daß er Siv im Auto seines Bruders gesehen hatte, genau in der Nacht, als sie verschwand.«
»Und? Das kann ja wohl kaum gereicht haben, um ihn des Mordes zu verdächtigen?«
»Nein, aber als Gabriels Bruder, Johannes Hult, verhört wurde, bestritt er, daß er mit ihr geredet oder sie überhaupt gesehen hatte, und in Ermangelung einer heißeren Spur hat man sich auf ihn konzentriert.«
»Führte das irgendwohin?« Martins Augen waren vor ungewollter Faszination weit aufgerissen.
»Nein, mehr hat es nicht ergeben. Und ein paar Monate später erhängte sich Johannes Hult in seiner Scheune, also kann man wohl sagen, die Spur wurde total kalt.«
»Daß er sich so kurz darauf das Leben genommen hat, wirkt mysteriös.«
»Ja, aber wenn er der Schuldige gewesen ist, dann muß es jetzt wohl sein Geist sein, der Tanja ermordet hat. Tote Männer morden nicht …«
»Und was war das mit seinem Bruder, der sich gemeldet und das eigene Fleisch und Blut angezeigt hat? Warum sollte man so was tun?« Martin runzelte die Stirn. »Gott, was bin ich dumm. Hult - das müssen doch Verwandte von Johan und Robert sein, unseren alten Bekannten von der Diebeszunft.«
»Ja, das stimmt. Johannes war ihr Vater. Nachdem ich etwas mehr über die Familie Hult weiß, verstehe ich wirklich besser, wie es kommt, daß die beiden uns so oft besuchen. Sie waren nicht älter als fünf bzw. sechs Jahre, als Johannes sich erhängt hat, und Robert hat ihn in der Scheune gefunden. Man kann sich ja vorstellen, wie das auf einen sechsjährigen Jungen gewirkt haben muß.«
»O Gott, ja.« Martin schüttelte den Kopf. »Du, ich brauche einen Schluck Kaffee, bevor wir weitermachen. Mein
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