Der Prediger von Fjällbacka
Scherereien mit der Mutter?« fragte Patrik.
»Nicht, daß diese Person groß einen Grund braucht, sie hat uns immer gehaßt, aber das, was sie gestern ganz aus dem Konzept gebracht hat, war die Neuigkeit über die Mädchen, die in der Königsschlucht gefunden worden sind. Mit ihrer begrenzten Intelligenz hat sie die Sache so ausgelegt, daß Johannes, also ihr Mann, damals unschuldig bezichtigt worden ist, und daran gab sie Gabriel die Schuld.«
Ihre Stimme wurde schrill vor Empörung, und sie wies mit der offenen Handfläche auf ihren Mann, der jetzt so aussah, als hätte er das Gespräch im Geiste verlassen.
»Ja, ich bin die alten Papiere aus der Zeit, in der die Mädchen verschwanden, durchgegangen und habe gesehen, daß Sie Ihren Bruder bei der Polizei als Verdächtigen gemeldet hatten. Könnten Sie ein bißchen davon erzählen?«
Ein kaum spürbares Zucken war in Gabriels Gesicht zu sehen, eine einzige kleine Andeutung, daß ihm die Frage unangenehm war, aber seine Stimme klang ruhig, als er antwortete.
»Das ist viele, viele Jahre her. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich noch immer daran festhalte, daß es mein Bruder gewesen ist, den ich zusammen mit Siv Lantin gesehen habe, dann lautet meine Antwort ja. Ich war im Krankenhaus in Uddevalla gewesen, bei meinem Sohn, der damals an Leukämie erkrankt war, und befand mich auf dem Heimweg. Als ich nach Bracke hochfuhr, begegnete ich dem Auto meines Bruders. Ich fand es etwas merkwürdig, daß er mitten in der Nacht unterwegs war, also schaute ich genauer hin und bemerkte das Mädchen, das auf dem Beifahrersitz saß, den Kopf an die Schulter meines Bruders gelehnt. Es sah aus, als ob sie schlief.«
»Woher wußten Sie denn, daß es Siv Lantin war?«
»Das wußte ich nicht. Aber ich habe sie wiedererkannt, als ich das Bild in der Zeitung gesehen habe. Hingegen möchte ich unterstreichen, daß ich nie gesagt habe, daß mein Bruder die Mädchen ermordet hat. Auch habe ich ihn nie als Mörder hingestellt, wie es die Leute hier im Ort so gern auslegen. Ich habe lediglich gemeldet, daß ich ihn mit dem Mädchen gesehen habe, denn das sah ich als meine Bürgerpflicht an. Das hatte nichts mit einem eventuellen Konflikt zwischen uns zu tun oder mit Rache, wie manche behaupteten. Ich habe berichtet, was ich gesehen habe. Dann war es Sache der Polizei, herauszufinden, was es bedeutete. Und offenbar hat man nie einen Beweis gegen Johannes gefunden, also halte ich die ganze Diskussion für unnötig.«
»Aber was haben Sie selbst geglaubt?« Patrik sah Gabriel neugierig an. Es fiel ihm schwer, zu verstehen, wie jemand so gewissenhaft sein konnte, daß er den eigenen Bruder anzeigte.
»Ich denke, nichts. Für gewöhnlich halte ich mich an Fakten.«
»Aber Sie kannten doch Ihren Bruder. Hielten Sie ihn für fähig, einen Mord zu begehen?«
»Mein Bruder und ich hatten nicht viel gemein. Manchmal fragte ich mich, ob wir wirklich dieselben Gene hatten, so verschieden waren wir. Sie fragen, ob ich glaube, daß er imstande gewesen war, jemandem das Leben zu nehmen?« Gabriel hob die Hände. »Ich habe wirklich keine Ahnung. Ich kannte meinen Bruder nicht gut genug, um diese Frage beantworten zu können. Und außerdem scheint es ja jetzt überflüssig zu sein, so wie sich die Dinge entwickelt haben, nicht wahr?«
Damit betrachtete er die Diskussion als abgeschlossen und erhob sich aus dem Sessel. Patrik und Gösta verstanden den nicht sonderlich zarten Wink und verabschiedeten sich.
»Was meinst du, sollen wir zu den Jungs fahren und mal mit ihnen über den gestrigen Abend reden?«
Es war nur eine rhetorische Frage, und Patrik war bereits in Richtung Johans und Roberts Zuhause unterwegs, ohne Göstas Antwort abzuwarten. Die Schlappheit des älteren Kollegen beim Verhör ärgerte ihn. Was war denn noch nötig, um diesen alten Kauz wachzurütteln? Zwar hatte er nicht mehr lange bis zur Rente, aber, verdammt noch mal, noch war er im Dienst und hatte seine Arbeit zu machen.
»Nun, was hältst du von alldem hier?« Die Verärgerung war Patriks Stimme deutlich anzuhören.
»Ich weiß nicht, welche Alternative schlimmer ist. Daß es einen Mörder gibt, der innerhalb von zwanzig Jahren drei Mädchen getötet hat, und wir haben nicht die geringste Ahnung, wer es ist, oder daß es wirklich Johannes Hult gewesen ist, der Siv und Mona gefoltert und getötet hat, und jetzt ist da jemand, der ihn kopiert. Was die erste Alternative angeht, sollten wir uns vielleicht die
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