Der Prediger von Fjällbacka
Schwimmweste mit großem Kragen, so wie sie früher selbst oft neben ihrem Vater gesessen hatte.
Als sie daran dachte, daß ihr Vater sein Enkelkind nie kennenlernen würde, wurden ihre Augen naß. Auch ihrer Mutter war das verwehrt, aber da sie an ihren Töchtern nie sonderliches Interesse gehabt hatte, glaubte Erica, daß auch ein Enkel bei der Mutter nicht viel an Gefühlen geweckt hätte. Schon deshalb nicht, weil die Mutter stets unnatürlich steif reagiert hatte, wenn sie Annas Kindern begegnet war. Von neuem stieg Bitterkeit in Erica auf, doch sie schluckte, um sie zu bezwingen. In ihren dunkleren Stunden fürchtete sie, daß die Mutterschaft für sie ebenso belastend werden könnte, wie sie für Elsy gewesen war, und daß sie selbst sich mit einem Schlag in ihre kalte unzugängliche Mutter verwandeln würde. Die Logik sagte ihr, daß es lächerlich sei, überhaupt so zu denken, doch die Angst war nicht logisch und trotzdem da. Andererseits konnte sie sehen, daß Anna eine warmherzige und liebevolle Mutter für Emma und Adrian war, also weshalb sollte sie selbst dann nicht so werden? versuchte sie sich zu beruhigen. Sie hatte zumindest den richtigen Vater für ihr Kind ausgewählt, dachte sie, als sie Patrik anschaute. Seine Ruhe und Zuversicht glichen ihre eigene Rastlosigkeit auf eine Weise aus, wie es bei keinem ihrer früheren Männer gewesen war. Er würde einen großartigen Vater abgeben.
In einer kleinen, geschützten Bucht gingen sie an Land und legten die Handtücher auf die glatt gewaschenen Felsen. Das hier hatte ihr gefehlt, als sie in Stockholm gewohnt hatte. Die Schären dort waren so ganz anders, mit all ihrem Wald und ihrer Vegetation, und das hatte auf sie irgendwie chaotisch und aufdringlich gewirkt. »Überschwemmter Garten« nannten die Westküstenbewohner diese der Stadt vorgelagerten Inseln verächtlich. Die Westküstenschären waren in ihrer Einfachheit so klar. Der grau-rosafarbene Granit reflektierte die Kristalle des Wassers und hob sich beklemmend schön vor dem wolkenlosen Himmel ab. Winzige Blumen, die in den Spalten wuchsen, waren die einzige Vegetation, und in der kargen Umgebung kam ihre Schönheit zur vollen Geltung. Erica schloß die Augen und fühlte, wie sie beim leisen Gluckern des Wassers und dem leichten Schlagen des Bootes gegen die Vertäuung in einen behaglichen Schlaf glitt.
Als Patrik sie vorsichtig weckte, wußte sie zunächst nicht genau, wo sie sich befand. Das grelle Sonnenlicht machte sie für ein paar Sekunden blind, und Patrik wirkte nur wie ein dunkler Schatten, der sich über ihr auftürmte. Nachdem sie sich orientiert hatte, wurde ihr klar, daß sie fast zwei Stunden geschlafen hatte, und jetzt freute sie sich auf den mitgebrachten Kaffee.
Sie gossen ihn aus der Thermoskanne in große Henkeltassen und aßen Zimtschnecken dazu. Nirgends schmeckte der Kaffee so gut wie draußen auf einer Insel. Erica konnte sich nicht verkneifen, das Tabuthema anzuschneiden.
»Wie läuft es bei euch eigentlich?«
»So lala. Einen Schritt vor und zwei zurück.«
Patriks Antwort war knapp. Ganz offensichtlich wollte er nicht, daß das Böse, das ihn in seinem Beruf bedrängte, die sonnendurchtränkte Stille eroberte. Aber ihre Neugier war zu groß, und sie mußte einfach etwas mehr aus ihm herauslocken.
»Glaubt ihr, daß die Sache tatsächlich was mit der Familie Hult zu tun haben könnte, oder hatte Johannes Hult einfach nur Pech, als er da hineingezogen wurde?«
Patrik seufzte, als er jetzt mit der alten Doppelhenkeltasse zwischen den Händen da saß. »Wenn ich das wüßte. Die ganze Familie Hult kommt mir wie ein verdammtes Wespennest vor, und am liebsten würde ich es mir ersparen, in ihren Angelegenheiten herumzustochern. Aber da ist irgend etwas, was nicht ganz sauber wirkt, ob das mit den Morden zu tun hat oder nicht, das weiß ich nicht. Vielleicht ist es nur der Gedanke, daß wir von der Polizei zum Tod eines Unschuldigen beigetragen haben könnten, der mich hoffen läßt, daß wir damals nicht völlig auf dem Holzweg waren. Gabriels Zeugenaussage war trotz allem das einzig Vernünftige, was die Kollegen beim Verschwinden der Mädchen in der Hand hatten. Aber wir können uns nicht nur auf die Hults konzentrieren, sondern müssen die Sache ziemlich breit angehen.« Er verstummte, aber fuhr nach wenigen Sekunden Pause fort: »Ich möchte am liebsten nicht darüber reden. Im Moment habe ich das Bedürfnis, alles, was mit Mord zu tun hat, völlig wegzuschieben
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