Der Preis des Schweigens
ausgeprägter, wenn er sich aufregte. »Ein Kostüm in Pink, um Himmels willen! Finden Sie das professionell?«
»Mode kann ja auch ein Statement sein. Allerdings möchte ich lieber nicht wissen, was sie mit einem pinkfarbenen Kostüm ausdrücken will.«
»Ich auch nicht. Ich habe schon Prostituierte gesehen, die dezenter geschminkt waren als diese junge Dame. Nicht dass ich persönlich irgendwelche Prostituierten kennen würde. Sie wissen schon, was ich meine.«
»Nehmen Sie doch noch einen Keks, Chef«, schlug ich vor. Und halten Sie die Klappe, bevor der nächste Journalist reinkommt.
In diesem Moment steckte Anne Nolan den Kopf zur Tür herein. Ich war ihr bis zu diesem Nachmittag noch nie persönlich begegnet und stellte fest, dass sie tatsächlich ein wenig Ähnlichkeit mit mir hatte – dieselbe Größe, dieselbe Statur, dieselben dunkelblonden Haare.
»Hallo, Anne«, rief ich und winkte sie herein. »Das hier ist Chief Superintendent Cavendish, der hier das Kommando übernommen hat, solange Chief Superintendent Pike im Urlaub ist. Inspector Phil Davies von der hiesigen Wache steht Ihnen in fünf Minuten für Ihr Interview zur Verfügung. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?«
»Nein danke, Jen. Ich werde das Interview nicht selbst durchführen. Da mein Name in den Ermittlungen aufgetaucht ist, dachten wir, dass es vielleicht besser ist, wenn Jack das übernimmt. Er muss hier irgendwo sein. Jack?«, rief sie den Flur hinunter.
Ein großer blonder Mann mit Brille kam lässig in den Raum geschlendert und streckte mir mit übertrieben charmantem Lächeln die Hand entgegen.
»Sie müssen Jennifer sein. Ich freue mich sehr, dass ich Sie endlich einmal persönlich kennenlerne und Ihrem Namen ein Gesicht zuordnen kann.«
Diese Freude ist leider einseitig, dachte ich, bevor ich zuckersüß zurücklächelte und ihn meinem Chef vorstellte.
»O. k.«, sagte Jack und rieb sich die Hände. »Sollen wir anfangen? Ich habe dringende Abgabetermine und kann daher leider nicht den ganzen Tag hier herumtrödeln.«
»Was für eine Dreistigkeit, sich als einer von uns auszugeben, oder?«, sagte Jack zu mir, als ich ihn eine halbe Stunde später vom Besprechungszimmer zum Ausgang brachte. »Und dann auch noch ausgerechnet zu behaupten, sie wäre Anne? Wir Reporter werden neuerdings für alles verantwortlich gemacht, nicht wahr? Wir sind die Prügelknaben der Nation, dabei machen wir nur unseren Job.«
Wenn ich richtig informiert bin, bist du heute Morgen um halb neun durchs Gestrüpp gekrochen, um die Polizeiabsperrung zu umgehen, Jack. Ich weiß, dass du das warst , dachte ich. Wer sonst wäre so weit gegangen, nur um ein paar Fotos von ausgebrannten Wohnwagen zu schießen?
»Als Nächstes vernehmt ihr Anne noch als Verdächtige«, fuhr Jack beleidigt fort und knöpfte sich den Regenmantel, der ihn seriös aussehen lassen sollte, zu. Dann zerknüllte er die Pressemitteilung, die ich ihm gegeben hatte, und warf sie im Vorbeigehen in einen Mülleimer. »Wir kriegen das doch sicher noch per E-Mail zugeschickt, nicht wahr? Wann habt ihr eigentlich vor, euch endlich zu der Sache mit dem Grundstückskrieg zu äußern?«
Grundstücks krieg . Er sagte es im Tonfall eines Nachrichtensprechers und zog das Wort »Krieg« betont in die Länge. In Jacks Welt war alles ein Krieg oder eine Gräueltat oder ein Skandal . Einmal Sensationsjournalist, immer Sensationsjournalist.
Ich lächelte. »Kein Kommentar, Jack. Wie der Inspector bereits sagte: Wir gehen sämtlichen Hinweisen nach, die im Übrigen nicht nur in diese, sondern auch in andere Richtungen weisen. Die Ermittlungen laufen.«
»Ja, ja«, murrte er und fischte eine Zigarette aus seiner Tasche. »Aber das mit dem Grundstückskrieg weiß wirklich jeder. Sie könnten zumindest zugeben, dass auch in diese Richtung ermittelt wird.«
»Einen schönen Abend noch, Jack«, sagte ich geduldig, als wir auf dem Parkplatz vor dem Haupteingang angekommen waren.
»Sie lassen es mich wissen, sobald es neue Entwicklungen gibt, ja?« Er schlug den Kragen hoch, um sich gegen den Wind zu schützen, und ließ seine Zigarette lässig zwischen den Lippen baumeln. Bestimmt glaubte er, dass er wahnsinnig verwegen damit aussah. »Wir sind nämlich sehr an der Aufklärung dieses Falls interessiert.«
»Das geht uns allen so«, stimmte ich zu.
»Sie informieren mich aber bitte vor der Deadline?«
»Sie erfahren es, sobald ich es erfahre, Jack, wie immer.«
»Ich wünschte, ich könnte Ihnen das
Weitere Kostenlose Bücher