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Der Preis des Schweigens

Der Preis des Schweigens

Titel: Der Preis des Schweigens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beverley Jones
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entschuldigte sich bei den beiden Mädchen an seiner Seite, einer nigerianischen Schönheit mit Modelmaßen und einer hübschen hennagefärbten Rothaarigen mit Nikolausmütze, und schlängelte sich zu der Ecke durch, in der ich saß, um mit mir , ausgerechnet mit mir, zu reden. Anfangs reagierte ich mit Verunsicherung, weil ich nicht verstand, warum er sich für mich interessierte, wo doch die wie geklont wirkenden weiblichen Sportskanonen aus reichem Hause mit ihren stählernen Bauchmuskeln und ihrer ausgelassenen Fröhlichkeit von Minute zu Minute spärlicher und aufreizender bekleidet waren. Das Hennamädchen und ihre nigerianische Freundin wussten gar nicht, wie ihnen geschah. Ich selbst war auch nicht gerade hässlich, aber eher unspektakulär, der Typ Indie-Girl mit Doc-Martens-Stiefeln und T-Shirt mit Band-Logo. Ich glaube, ich wirkte ein wenig unscheinbar und langweilig, obwohl ich weder eine Brille noch geblümte Röcke trug. Mich umwehte die Aura eines Mauerblümchens, aber vielleicht wartete dieses Blümchen nur darauf, dass man es goss und in die Sonne stellte, damit es seine wahre Pracht entfalten konnte.
    Dan fragte mich, ob ich tanzen wolle. Seine Stimme war sanft, überhaupt nicht so laut und zackig, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Seine Hand, mit der er meine umschloss, war schwer, aber es fühlte sich gut an. Ich genoss die neidischen Blicke sämtlicher Mädchen im Raum, als er den Arm um meine Taille legte. In diesem Moment, in dem ich mich in seinen Armen zur Musik bewegte, verschwamm die Welt um mich herum. Ich befand mich plötzlich an einem viel schöneren Ort, an dem ich am liebsten für immer geblieben wäre. Ich hätte sterben können in seinen Armen.
    Kurz darauf verließen wir die Party und suchten uns eine ruhige Kneipe, in der wir uns unter einem funkelnden Weihnachtsbaum angeregt unterhielten, bis der Laden zumachte. Dan bat mich um eine Verabredung und schien tatsächlich Angst zu haben, dass ich Nein sagen könnte, denn er stellte die Frage beinahe schüchtern, als sei er an Zurückweisungen gewöhnt. Natürlich kam es überhaupt nicht infrage, dass ich ihn abblitzen ließ. Seit wir die Party verlassen hatten, hatte ich überlegt, wie ich möglichst lässig Ja sagen könnte, wenn er mich tatsächlich fragen sollte, aber ich hätte nie für möglich gehalten, dass es dazu kommen würde. Als er mich nun erwartungsvoll ansah, grinste ich nur dämlich und sagte: »Ja, gerne. Pasta klingt gut.«
    Mit seinem roten Ford Fiesta und seiner dynamischen Oakley-Sonnenbrille war Dan den Jungen aus meiner Dorfschule um Längen voraus, was Glamour und Coolness anging. In der ländlichen Gegend, in der ich aufgewachsen war, lebten hauptsächlich gescheiterte Landwirte, Schweißer, Automechaniker, Kosmetikerinnen, Teenie-Mütter und Friseusen. Dagegen war nichts einzuwenden, aber für mich kam ein solches Leben nicht mehr infrage. Ich wollte so viel mehr.
    Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich von unserer ersten Verabredung an Hals über Kopf in Dan verliebt war, in Dan mit seinen altmodischen Umgangsformen und seiner Bereitschaft, einmal im Monat sonntags bei meinen Eltern zu Mittag zu essen. Aber irgendetwas in mir blieb von Anfang an zögerlich. Meine Zurückhaltung beruhte auf der stillen Erkenntnis, dass wir eigentlich nicht viel gemeinsam hatten.
    Dan stammte aus London, und seine Eltern waren schon lange tot. Er war bei einer älteren, beneidenswert wohlhabenden Großtante namens Alice aufgewachsen, die ganz vernarrt in ihn gewesen war, aber leider im Laufe seines ersten Studienjahrs verstorben war. Sie hatte den zehnjährigen Dan bei sich aufgenommen, nachdem dessen Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war, und ihm eingetrichtert, wie wichtig Bildung, Sparsamkeit und Fleiß waren. Auch die Überzeugung, dass es für einen starken Körper und Geist unerlässlich ist, regelmäßig Sport zu treiben, hatte er von ihr. Ich stellte sie mir vor wie Lady Bracknell aus Ernst sein ist alles , nur weichherziger und weniger versnobt. Ich war zuversichtlich, dass ich Gnade in ihren Augen gefunden hätte, wenn wir je das Vergnügen gehabt hätten, uns kennenzulernen. Sie wäre sicher ganz in Burberry oder Christian Dior gekleidet gewesen und hätte mir ein Stück Zitronenkuchen oder Scones mit Marmelade angeboten und dazu Earl Grey. Bestimmt hatte sie eine kleine Zange für die Zuckerstücke besessen.
    Seinen Vater, den seine Tante offenbar abwechselnd als »hohes Tier« und als

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