Der Preis des Schweigens
geblieben, und am nächsten Morgen war ich mit einem mörderischen Kater aufgewacht. Mit dieser Geschichte würde ich nicht gerade vertrauenerweckend auf die Staatsanwaltschaft wirken, und bemitleidenswert schon gar nicht.
Auf dem Video sah alles nach einvernehmlichem Sex aus. Es war mehr als offensichtlich, dass mich Justin zu nichts zwang. War es trotzdem Vergewaltigung, weil ich zu betrunken gewesen war, um eine bewusste Entscheidung zu treffen? War es Voyeurismus, wenn der Voyeur selbst am Geschehen teilnahm? War es ein Verbrechen, jemanden ohne dessen Einwilligung zu filmen?
Für die Nichtveröffentlichung Geld zu verlangen war natürlich Erpressung, aber wie konnte ich das beweisen? Ich hatte nichts Schriftliches vorliegen, keinerlei handfeste Beweise. Aus purer Panik davor, dass Dan etwas merken könnte, hatte ich systematisch alle Textnachrichten und E-Mails gelöscht. Mir war zwar in den Sinn gekommen, dass ich sie aufheben sollte, aber der Gedanke, dass sie wie ein Virus auf meinem Rechner vor sich hinbrüteten oder irgendwo auf einem USB-Stick herumlagen, war mir unerträglich. Ich wollte diese widerlichen Filme auf keinen Fall in meiner Nähe haben.
Blieb die Telefonnummer, von der Justin die Textnachrichten geschickt hatte, aber vermutlich hatte er ein Handy mit Prepaid-Karte benutzt, was es erschweren würde, die Nummer mit ihm in Verbindung zu bringen. Und selbst wenn die Nummer als seine festgestellt werden konnte, ließ sich nur schwer beweisen, dass er die Nachrichten tatsächlich verfasst und abgeschickt hatte.
Das Gleiche galt für den Computer, von dem er die E-Mails abgeschickt hatte. Wenn auch nur eine weitere Person Zugriff darauf hatte, konnte er behaupten, nichts damit zu tun zu haben, und dann lag die Beweispflicht bei der Polizei. Vor allem Pädophile nutzten diese Ausrede, wenn sittenwidrige Bilder auf ihren Festplatten gefunden wurden.
Lohnte es sich, sich den Strapazen und Demütigungen auszusetzen, wenn der Erfolg derart ungewiss war? Ich würde nie wieder einem Mitmenschen ins Gesicht blicken können, ohne mich zu fragen, was er über mich gehört hatte oder ob er vielleicht sogar mein Pornofilmchen bestaunt hatte.
War es das wert? Die Schande würde ja nicht nur mich betreffen, sondern auch Dan. O Gott! Dan würde mich sicher verlassen, und auch den Polizeidienst würde er nicht mehr ausüben können. Wie sollte er morgens zur Arbeit gehen und Autorität ausüben und Respekt einfordern, nachdem jeder im Gebäude, Hausmeister und Reinigungskräfte eingeschlossen, seiner Schlampe von Freundin dabei zugesehen hatte, wie sie sich von einem fremden Mann von hinten nehmen ließ? Ja, ja, stille Wasser sind tief … kicher, kicher.
Nach langem Nachdenken traf ich schließlich eine Entscheidung. Mir blieb wohl nichts anderes übrig, als Justin selbst aufzuspüren und mit ihm zu reden. Und dafür zu sorgen, dass er mit seinem Spielchen aufhörte.
8.
I ch wartete bis nach dem Mittagessen, weil ich wusste, dass Bodie um diese Zeit bei der nachmittäglichen Einsatzbesprechung war. Am Vormittag hatte ich bereits zweimal versucht, mich unbemerkt in das Großraumbüro der Kriminalpolizei zu schleichen, hatte dort aber beide Male Detective Inspector Dai Hard angetroffen, der eine nicht enden wollende Zeugenaussage in seinen Computer tippte. Also hatte ich nur kurz ins Zimmer gewunken und war dann unauffällig weitergeschlendert. Aber als ich um zwei noch einmal mein Glück versuchte, war das Büro leer.
Ich lauschte einen Moment auf dem leeren Flur, um sicherzugehen, dass niemand in der Nähe war, aber ich hörte weder sich nähernde Stimmen noch Schritte oder Gelächter.
Ich hatte vierundzwanzig Stunden gebraucht, bis ich endlich den Mut aufgebracht hatte, meinen Plan in die Tat umzusetzen. Jetzt zählte ich in Gedanken rückwärts von zehn bis eins, eine alte Gewohnheit, wenn ich eine unangenehme Aufgabe zu bewältigen hatte. Bei eins schlüpfte ich ins Büro und setzte mich an Bodies Computer. Und tatsächlich war wie immer die Suchmaske der Polizeidatenbank geöffnet. Bodie hatte sich trotz Dans Ermahnung, meiner Erinnerung und der Warnung unzähliger anderer Kollegen nicht ausgeloggt.
Jeder Polizist hat seine eigenen Zugangsdaten für die Nationale Polizeidatenbank, in der sämtliche Personen gespeichert sind, die bereits strafrechtlich verurteilt worden sind oder in der Vergangenheit mit einer Straftat in Verbindung gestanden haben. Weil Bodie bereits mit seinem Passwort eingeloggt
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