Der Preis des Schweigens
andere sehen sich in den eigenen vier Wänden Pornos an und reden nicht darüber, und wieder andere drehen eigene Home Videos und zeigen sie sogar ihren Freunden. Ich selbst war nur ein einziges Mal mit Pornographie in Berührung gekommen, bevor ich zur Polizei kam, und zwar kurz nachdem Dan und ich zusammengezogen waren und uns endlich einen Internetanschluss zugelegt hatten.
Dan nahm die für uns neue Technik mit Begeisterung an, und immer wenn ich meinen Kopf ins Arbeitszimmer steckte, um zu fragen, ob er auch eine Tasse Tee wolle oder ein Sandwich zum Abendessen, guckte er sich gerade Polizeizubehör an oder las Forschungsberichte. Aber eines Tages klickte ich auf seinen Suchverlauf bei Google, woraufhin die zuletzt besuchten Seiten angezeigt wurden. Unter »Mountainbike Mania« und »Sportschuh-Lager« las ich dort »Heiße Girls von nebenan« und »Babes mit großen Brüsten«. Damals hatte er noch nicht herausgefunden, wie man den Suchverlauf löscht.
Anfangs war ich unsicher und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Eigentlich hatte ich ja nur »versehentlich« auf seinen Suchverlauf geklickt. Na gut, ich hatte ein bisschen herumgeschnüffelt, weil ich wissen wollte, was er so im Internet trieb. Einerseits war ich schockiert und verärgert, andererseits hatte ich ein schlechtes Gewissen, weil ich Dan hinterherspioniert hatte. Menschen, die an Türen lauschen, kriegen selten Gutes über sich zu hören, pflegte meine Mutter zu sagen.
Aber meine Neugier war geweckt. Ich rief die Seite »Girls von nebenan« auf und entdeckte dort zu meiner Erleichterung nichts, was aus dem Rahmen des Üblichen fiel, oder aus dem, was ich mir darunter vorstellte. Es gab keine sadomasochistischen Vergewaltigungsfantasien zu sehen oder Sexualpartner, die sich gegenseitig anpinkelten. Eigentlich waren es ziemlich banale Filmchen, auf denen Männer zu sehen waren, die junge, aber nicht zu junge Frauen mit Schmollmündern, die Slips mit Aussparungen und halterlose Strümpfe trugen, von vorne oder von hinten nahmen. Anfangs schoss mir das Blut in den Kopf, aber dann stellte sich das Ganze als unerwartet informativ heraus. Ich hatte beispielsweise nicht gewusst, dass so etwas wie eine »Double Penetration« überhaupt möglich war.
Die Website »Babes mit großen Brüsten« hielt, was ihr Name versprach, und ich stellte mit Erstaunen fest, dass sich hier angeblich echte Frauen von nebenan präsentierten, die zu Hause vor ihren Webcams saßen. Die sind nicht einmal besonders hübsch! , dachte ich. Ich bin zum Beispiel viel schlanker als die da (auch wenn ich keine so großen Titten habe). Was ist, wenn eure Väter oder der Milchmann euch im Internet sehen?
Ich war erleichtert, dass Dan keine heimlichen perversen Vorlieben zu haben schien. Er war ein dynamischer, aber konservativer und rücksichtsvoller Liebhaber und hatte noch nie von mir verlangt, dass ich mich als Krankenschwester oder Callgirl verkleidete. Noch nicht einmal Handschellenspielchen hatte er mit mir gemacht, was angesichts seines Berufs und der freien Verfügbarkeit von Handschellen wirklich erstaunlich war.
Nachdem ich meinen Schock über meinen Fund verdaut hatte, beschloss ich, ihn nicht darauf anzusprechen, denn dann hätte ich zugeben müssen, dass ich seine Suchanfragen kontrolliert hatte, und eine Frau, die so etwas tat, las bald auch heimlich die E-Mails ihres Partners und durchsuchte jeden Abend sein Handy. Es waren schon ernstere Vergehen nötig als der gelegentliche Aufruf einer Pornoseite, damit ich mich derart erniedrigte. Das machen alle Männer, redete ich mir ein. Ich hätte es zwar besser gefunden, wenn ihn unser Sexualleben so befriedigt hätte, dass er so was nicht brauchte, aber es war wohl das Vernünftigste, einfach darüber hinwegzusehen.
In meiner jetzigen Situation fragte ich mich zum ersten Mal, ob auch Dan manchmal »versehentlich« auf meinen Suchverlauf oder mein Mailprogramm klickte. Wie würde er reagieren, wenn er das Video entdeckte? Oder Justins Nachrichten? Oder noch schlimmer: Was, wenn Justin seine Drohung wahrmachte und ihm das Video direkt schickte oder es sogar veröffentlichte – auf der Polizei-Website oder in einem sozialen Netzwerk oder einem Chatroom?
Was, wenn Dan auf irgendeinem Porno-Äquivalent von YouToube über mein Video stolperte und dachte: Hm, diese Blinddarm-Narbe da kommt mir irgendwie bekannt vor? Wie sollte ich ihm das erklären? Zumal das, was Justin und ich auf dem Video trieben, deutlich schmutziger
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